Die Auflösung der ETA: Die ETA (Abkürzung für „Euskadi Ta Askatasuna“, „Baskenland für Freiheit“) hat vor einigen Wochen offiziell ihre Selbstauflösung verkündet. De facto war sie seit dem „Waffenstillstand“ von 2011 nicht mehr aktiv gewesen, jetzt wurde der Schlußakt formal vollzogen. Das hat hierzulande kein besonderes Echo gefunden, genausowenig, wie die jahrzehntelange Tätigkeit dieser Organisation niemanden außerhalb Spaniens besonders gestört hat.
Die Vorwegnahme des Staates als Gewaltapparat In ihre Gründungszeit herrschten noch verschiedene Vorstellungen über die Ziele dieser Organisation, die in Spaltungen und Vereinigungen mündeten. Als Ziel setzte sich schließlich die Unabhängigkeit des Baskenlandes durch und verschiedene terroristische, also gewaltsame Akte zur Durchsetzung dieses Ziels. Der Wille zu einem eigenen Staat einte die ETA mit verschiedenen Befreiungsbewegungen des 20. Jahrhunderts. Es gibt aber wenige Organisationen, die diese Sehnsucht so sehr in Reinkultur verkörpert haben wie die ETA. Diese Vorstellung, sich als ideelle Staatsmacht mit der realen gleichzusetzen, zeigt sich auch an den angebotetenen „Waffenstillständen“. Da ist es unwichtig, ob sie gehalten haben oder gebrochen wurden. Die ETA definierte dieses Angebot auf Gewaltverzicht als einen Hoheitsakt, bei dem eine kriegsführende Seite sich mit der anderen auf etwas verständigt.
Die ETA und die PNV Der baskische Nationalgedanke wurde traditionell durch die PNV (Baskische Nationalpartei) vertreten. Diese national-klerikale Partei wurde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet. Ihr Gründer gab die Parole aus: „Alles für das Baskenland, und das Baskenland für Gott!“ In der II. Spanischen Republik strebte sie nach Autonomie. Das Autonomiestatut wurde nach langen Querelen und dem Ausscheiden Navarras 1936, bereits nach Ausbruch des Bürgerkriegs erlassen. Der erste Präsident, Aguirre, gründete eine Exilregierung, die schließlich in den 50-er Jahren erlosch, nachdem die USA und Frankreich ihr die Unterstützung entzogen hatten.
Die ETA kämpfte für die Unabhängigkeit des Baskenlandes. Die PNV unterstützte im weiteren die Sozialistische Partei Spaniens, PSOE, die stets mit Unterstützung der PNV regierte. Es gab jedoch immer eine Art stille Unterstützung der PNV für die ETA, weil sie sich dadurch Gewicht in der spanischen Politik sicherte: Wir sichern den Verbleib des Baskenlandes im spanischen Verband! – das brachte weitere Autonomierechte, wie z.B. die Gründung einer eigenen baskischen Polizei, der Ertzaintza („Volksschutz“). Die ETA nahm diese Entwicklung zur Kenntnis und modifizierte ihre Politik.
Der Kampf des spanischen Staats gegen die ETA Der Umstand, daß die ETA nach Francos Tod nicht die Waffen streckte und weiter aktiv blieb – und sich auch einer gewissen Unterstützung im restlichen Spanien erfreute, aufgrund der Tatsache, daß sie die einzige Organisation war, die dem Regime die Stirn geboten hatte – kam den spanischen Eliten gerade recht. Mit Berufung auf „Bekämpfung des Terrorismus“ konnte die Übergangsregierung unter Suarez und die Nachfolgeregierungen auch gegen linke Studenten- und Arbeiterorganisationen vorgehen und den Gewaltapparat aus der Franco-Zeit 1:1 übernehmen. Er diente jetzt der „Verteidigung der Demokratie“. Eine besondere Rolle kam dabei der Guardia Civil zu. Diese spezielle Einheit, die als „Gendarmerie“ übersetzt wird, wurde 1844 als eine Art Militär für das Inland gegründet, zur Überwachung der ländlichen Bevölkerung. Ihre Mitglieder leben in Kasernen, kommen aus anderen Landesteilen und dürfen sich nicht mit der Bevölkerung vor Ort verbrüdern, verheiraten usw. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit werden sie versetzt und in die nationale Polizei übernommen. Es ist nicht herauszukriegen, wieviele Personen der Repression der Sicherheitskräfte seit 1975 zum Opfer gefallen sind. Darüber wird offenbar keine Statistik geführt, während die Opfer der ETA genau verzeichnet wurden. Zu den Ermordeten, ob ETA-Mitglieder oder nur der ETA-Mitgliedschaft Verdächtigen, muß man auch diejenigen hinzuzählen, die durch die Polizeihaft bleibende Schäden erlitten haben. Das war aber offenbar dem Staat noch nicht genug. Von 1983 bis 1987 übten die paramilitärischen Einheiten der GAL (Antiterroristische Befreiungsgruppen), die vom Innenministerium zur Zeit der sozialistischen Gonzalez-Regierung organisiert wurden, ihre Tätigkeit aus, die später als „schmutziger Krieg“ bezeichnet wurde. Ihnen werden 27 Morde zugeschrieben. Sie entführten Personen und ermordeten sie, auch in Frankreich.
Die Organisationsstruktur der ETA Die ETA verfügte mit der 1978 von aus dem Exil heimgekehrten Politikern gegründeten Partei Herri Batasuna („Volkseinheit“), die sich 1986 formal als Partei gründete, über ein legales Standbein im baskischen Regionalparlament, bis HB und auch Nachfolgeorganisationen 2003 verboten wurden. Die paramilitärischen Einheiten, die „Kommandos“, agierten unabhängig voneinander, sodaß die Verhaftung eines oder mehrer Mitglieder eines solchen Kommandos keine Auswirkungen für die anderen hatte. Auch unter Folter konnten die Verhafteten keine Informationen weitergeben, weil sie keine hatten. Ein Moment der Dauerhaftigkeit und Unterstützung der ETA war das absolute Verbot des Konsums von Alkohol und Drogen. Ihre Mittel beschaffte sich die ETA über Schutzgelderpressung – mit sehr glaubwürdigen Drohungen unterlegt –, über Entführungen von Unternehmern und das dafür gezahlte Lösegeld, und über Einbrüche in Munitionsdepots.
Die Unterstützer der ETA Das Staatsprojekt der ETA fand auf der Welt wenig Unterstützer. Spekulationen auf Unterstützung von Seiten der Sowjetunion oder anderer Staaten des Warschauer Paktes werden nicht einmal von den größten Antikommunisten in die Welt gesetzt. Die ETA wurde lange von Algerien unterstützt. Die Regierungen von Boumedienne und Bendjedid sahen offenbar im nationalen Befreiungskampf der ETA eine Parallele zur eigenen Befreiung von der Kolonialmacht. Algerien diente sowohl als Versteck und Zufluchtsort für ETA-Mitglieder, die in Spanien gesucht wurden, als auch als Ausbildungslager für die Mitglieder der Kommandos. Nicht ganz klar erschließt sich die Rolle Frankreichs. Die ETA hätte sich nie so lange halten können, wenn die französischen Behörden mit den spanischen zusammengearbeitet hätten. Aber daran bestand offenbar kein Interesse von Seiten Frankreichs. Diese Duldung ist um so verwunderlicher, als der Wunsch nach einem eigenen Staat durchaus auch das französische Baskenland bedrohte und damit die Einheit Frankreichs. Zunächst konzentrierte sich die ETA auf den spanischen Teil – Hegoalde, die „südlichen Länder“ –, aber der Norden – Iparralde – lag als Fernziel durchaus im Staatskonzept der baskischen Patrioten. Schließlich ist auch eine Unterstützung der ETA bei der baskischen Unternehmerschaft nicht zu unterschätzen. Nicht alle wurden genötigt, Schutzgeld zu zahlen. Es gab auch in der Unternehmerschaft welche, denen die Vorstellung eines unabhängigen Baskenlandes angenehm war und die dafür gerne etwas ablegten.
Die Attentate Der bewaffnete Arm der ETA betrachtete sich als Nachfolger der baskischen Armee im Bürgerkrieg, der Finger saß recht locker am Abzug. Sie betrachtete sich als Armee im Krieg und wollte den Feind treffen, wo es nur ging. Die Auswahl ihrer Opfer fand so statt, daß diese Personen von den Mitgliedern der Kommandos für lebensunwert betrachtet und zur Liquidierung verurteilt wurden. Mit der Zeit bürgerte sich ein, daß bei den Bombenattentaten in öffentlichen Gebäuden vorher eine Warnung erfolgte, damit die betreffende Örtlichkeit rechtzeitig geräumt werden konnte. Beim Bombenattentat auf den Flughafen Barajas 2006 war der Flughafen zwar geräumt worden, zwei Ecuatorianer, die in ihren Autos schliefen und deshalb die Evakuierung verschliefen, fielen der Explosion jedoch zum Opfer.
Die Opfer der ETA Die ETA hatte ein relativ breit gestreutes Spektrum an Opfern. Der größte Teil ihrer Opfer waren Mitglieder der Exekutive – der Guardia Civil und der Polizei, des Militärs, sowie deren Angehörige. Es gab keinerlei Bedenken oder Reue, wenn bei einem Attentat gegen eine als Feind definierte Zielperson auch deren Partner und Kinder umkamen, oder die Erschießung ihres Vaters mit ansehen mußten. Die ETA betrieb also bei ihren Attentaten auch eine Art Sippenhaftung. Einmal ETA – immer ETA!
Die Nachfolgeorganisation Bildu Die Organisation EH Bildu (= „baskische Bürger versammelt euch“) ist das Ergebnis verschiedener Koalitionen, die sich aus baskischen Kleinparteien seit dem „Abkommen von Gernika“ im Jahre 2010 gebildet hat. Damals wurde der Waffenstillstand, also das Ende des bewaffneten Kampfes vereinbart, und alle anderen politischen Organisationen auf die Zusammenarbeit mit der ETA verpflichtet. Hier ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß die ETA jahrzehntelang keine Organisationen der spanischen oder sogar internationalen Linken auf dem Territorium des Baskenlandes duldete. Sobald irgendwelche anarchistischen, trotzkistischen, maoistischen, marxistischen und ähnlichen Gruppen eine Filiale im Baskenland eröffnen wollten, erhielten sie einen Besuch, der ihnen davon abriet, weil dergleichen mit Gefahr für Leib und Leben verbunden sei. Diese Drohungen betrafen auch den französischen Teil des Baskenlandes. Man kann sagen, daß die ETA sich auf diese Art und Weise den Boden für den Übergang in die Legalität vorbereitet hat. Erstens hat sie eine Infrastruktur für die Teilnehme am demokratischen Machtkampf zugelassen, derer sie sich jetzt bedienen kann. Zweitens hat sie damit gesorgt, daß alle Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen sich nur innerhalb der „patriotischen Linken“ artikulieren kann. Dadurch hat sie drittens ein breites Reservoir von jungen Anhängern und Wählern, denen es selbstverständlich ist, ihre gesamten Anliegen zu Bildu und deren Koalitionspartnern zu tragen. Die Vereinigung mit dem Norden ist weiterhin nicht ausgeschlossen, wenngleich derzeit auf die Gemeindeebene reduziert: Bildu bzw. mit der Partei verbündete Parteien kandidieren auch in Frankreich. Zusatz 1 Die spanische Partei der extremen Rechten Vox entstand im Baskenland. Ihr Gründer Santiago Abascal stammt aus Bilbao und betrieb genau als Reaktion auf den Terror und die Politik der ETA eine Partei, die sich gegen jegliche Autonomierechte ausspricht, also die rechtliche, administrative und fiskalische Sonderstellung des Baskenlandes und auch Kataloniens und der restlichen Bundesstaaten aufheben will. Schöne Perspektiven. Zusatz 2 Wer die Tätigkeit der ETA positiv bewertet, ohne baskischer Nationalist zu sein, tut dies aus einem sehr staatsbürgerlichen Denken heraus: Es gefällt ihm (oder ihr), wenn sich bedeutungslose Bürger zu Vertretern einer imaginären Staatsgewalt aufschwingen und sich damit zu Herren über Leben und Tod erklären.
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Der Artikel wurde verfaßt am 21. Mai 2023 |