Was ist Geld? Bei den Anarchisten ist es – zumindest heute – leider üblich, nicht allzuviel Theorie zu wälzen, sondern sich lieber auf direkte Aktion, alternative Formen des Zusammenlebens und Wirtschaftens, Kunst und Kultur als Formen der Selbstverwirklichung zu setzen. Silvio Gesell war einer der wenigen Theoretiker des Anarchismus, der sich mit ökonomischen Fragen beschäftigt hat. Er war eine Art Vorbild von Keynes, der sich explizit auf ihn bezogen hat. Heute, angesichts der Finanzkrise, besinnen sich viele Leute wieder auf ihn. Grund genug für mich, ihm eine kritische Würdigung angedeihen zu lassen. Zunächst einige Ausführungen darüber, was Geld ist.
1. Geld 1.1. Der Tausch Der Platz, an dem Waren getauscht werden, ist der Markt. Wer am Markt – gleich, ob es jetzt ein kleiner lokaler oder der große Weltmarkt ist, oder eine Tauschbörse am Internet – etwas erwerben will, muß gleichzeitig etwas anderes dafür hergeben. Er muß also etwas haben, das er eintauschen kann. Wenn er nichts hat, hat er auf dem Markt nichts verloren. Er kann sich also auch von dort nichts holen. Was immer für Bedürfnisse er hat, er kann sie nicht befriedigen. Gleichzeitig haben wir eine Eigentumsordnung, die viele Menschen von jeder Möglichkeit, etwas herzustellen, ausschließt. Die meisten Menschen haben kein Land, auf dem sie etwas anbauen könnten. Sie haben keine Werkstatt, in der sie etwas zusammenbasteln könnten. Sie haben nicht einmal ein Haus oder eine Hütte im Wald, in der sie wohnen könnten. Um an Lebensmittel, Wohnraum oder Gebrauchsgegenstände heranzukommen, müssen sie etwas dafür hergeben – heutzutage ist das Geld. Es wäre aber um nichts besser, wenn Tauschgegenstände aller Art auch auf dem Markt zugelassen bzw. nachgefragt würden, weil die haben sie ja auch nicht. Die meisten Menschen sind von jeder Möglichkeit, etwas Nützliches zu erzeugen, einfach ausgeschlossen. Es gibt ja viele Erklärungen, warum auf der Welt gehungert wird. Sie sind alle falsch. Unter anderem deshalb, weil sie diese grundlegende Gleichung: Um etwas zu bekommen, muß man etwas hergeben, nicht zur Kenntnis nehmen. Da werden logistische und Verteilungsprobleme angeführt, die Natur und ihre Tücken, menschliche Gier und korrupte Beamte, oder eine ungerechte Weltordnung, in der die einen sich überfressen und die anderen deswegen nicht einmal das Nötigste bekommen. Wenn solche Gründe angenommen und anerkannt werden, ist der Tausch und das Prinzip des Eigentums fein heraußen: Sie können nicht der Grund sein. Oft wird eben eine bessere Austausch-Ordnung, ein „gerechterer“ Zugang zu ebendiesem globalen Markt als Lösung für die Ernährungsprobleme der Menschheit angeführt. Ich lege deshalb so großen Wert auf den Umstand, daß der Tausch eine Form des Ausschlusses ist, weil heute, angesichts der Tatsache, daß das Geld irgendwie ein bißl in Mißkredit geraten ist, viele Kritiker unseres Gesellschaftssystems die Lösung aller Probleme in einer Rückkehr zu einer Art Tauschwirtschaft sehen, oder zu einem Tauschmittel, das kein Geld ist, sondern irgendein anderer nützlicher Gegenstand. Die Verteidiger unserer Gesellschaftsordnung hingegen werden nicht müde, darauf hinzuweisen, daß Tausch eine feine Sache ist und am besten mit Geld geht. Damit wollen sie Werbung für das Geld machen. Sie weisen mit allerlei Beispielen darauf hin – kürzlich gab es dazu einen ausführlichen Artikel in der FAZ – daß es furchtbar unpraktisch ist, wenn Leute mit Kartoffeln auf den Markt gehen und diese für Schuhe tauschen wollen. Und wenn man unbedingt tauschen will, so ist das ja wirklich unpraktisch. Wer will schon die Kartoffeln, und wer gibt Schuhe dafür her?
1.2. Das allgemeine Äquivalent: Geld Deswegen, so meinen die Anhänger des Tausches, ist es super-gut, daß es ein universelles Tauschmittel gibt, eines, das alle haben wollen. Marx nennt es das allgemeine Äquivalent. Er will damit ausdrücken, daß es ein Tauschmittel gibt, geben muß, das alle akzeptieren und alle haben wollen. Früher, in einfacheren Tausch-Gesellschaftsformen, im Mittelalter in Europa, war dieses allgemeine Äquivalent ein Edelmetall: Gold oder Silber, und als Kleingeld das Kupfer. Und sofort hat es wen gegeben, der sich dieses allgemeinen Äquivalents bemächtigt hat: die Staatsgewalt. Gold- und Silberbergbau waren, selbst wenn sie privat betrieben wurden, unter die Kontrolle des Staates gestellt, und das Münzprägerecht war ein staatliches Monopol. Wenn nämlich jemand dieses allgemeine Tauschmittel in der Hand hat, so hat er eine Verfügungsgewalt über die Gesellschaft: Diese Instanz kann den anderen die Bedingungen des Tausches bestimmen, aufnötigen. Diese Instanz hat die Möglichkeit, zu bestimmen, was etwas wert ist und was nicht. Deshalb haben sich die feudalen Regierungen – Könige, Kaiser, Fürsten – das Monopol über die Gewinnung von Edelmetallen und das Münzprägerecht gesichert. Wenn es einmal soweit ist, daß ein „Maß der Werte“ (auch wieder ein Ausdruck von Marx, als eine der Funktionen des Geldes) eingerichtet ist und jeder danach strebt, es in die Hände zu bekommen, so hat das Metallgeld seine Mängel: Es ist nur begrenzt verfügbar, seine Herstellung ist kompliziert und teuer, und es nutzt sich im Gebrauch, also im Händewechsel, ab. Die Zeit ist also reif für seinen Ersatz durch passendere Substanzen.
1.3. Staatspapiergeld Die Staaten, die Regierungen, als Garanten des allgemeinen Äquivalents, sind irgendwann dazu übergegangen, dieses selber herzustellen, und ihre pure Gewalt dafür einzusetzen. Das war ein langwieriger Prozeß. Papierzettel als Geldersatz sind dem vorausgegangen. Kaufleute stellten Wechsel aus und Banken druckten Banknoten. Diese privaten Wert-Ersatz-Zettel hatten ihre Gültigkeit als Vertreter von Ware oder Münzgeld. Sie waren glaubwürdig durch Bezug auf zu verkaufende Ware, oder durch Versprechen auf Münzgeld. Der Staat lernte daraus, und aus der Nachfrage nach seinem eigenen Münzgeld, daß dieses ersetzbar war: Durch Zahlungsversprechen des Staates, die er dank seiner Gewalt garantierte. Das Staatspapiergeld, das selber keinen Wert hat – oder soviel wie andere Papierprodukte, Servietten, Klopapier – erhält seinen besonderen Wert als allgemeines Äquivalent dadurch, daß der Staat seinen Wert garantiert und sagt: Dieser Zettel ist 50, jener 100 Mark, oder heute, Euro wert. Die 2 Zettel sind natürlich die gleichen, von ihrer Substanz her. Der Unterschied in ihrem Wert kommt nur von außen, vom Staat her, der einen unterschiedlichen Wert darauf druckt. Heute wird der Wert der Waren, also allen Reichtums NUR in Staatspapiergeld gemessen. Es geht auch gar nicht anders. Die Geldzirkulation zurückzuführen auf Edelmetalle ist unmöglich. Die Tauschwirtschaft und Geldzirkulation ist nicht aufgehoben, aber sie wird immer mehr in Frage gestellt, und zwar nicht aus einem Mißtrauen geg enüber dem Tausch, sondern gegenüber dem Wert: Wenn ich etwas auf den Markt trage und dafür ein allgemeines Äquivalent erhalte – gilt mir das überhaupt den Wert meiner Ware ab? Kann ich damit etwas dem Wert meiner Ware Entsprechendes kaufen? Damit ist das Austauschverhältnis überhaupt in Frage gestellt, aber nicht seinem Wesen, sondern seiner Handhabbarkeit nach. Und damit wird Silvio Gesell wieder aktuell.
2. Gesells Kritik am Geld, am Grundeigentum und am Zins Was die Beschäftigung mit Gesell betrifft, so verhält es sich mit ihm ähnlich wie mit seinem Bewunderer Keynes: Man beruft sich auf ihn, liest ihn aber kaum. Ein paar Punkte, worin Gesell durchaus wieder Anhänger hat, auch wenn sie vielleicht seine Theorien nicht kennen und daher gar nicht wissen, daß sie in Übereinstimmung mit ihm sind.
2. 1. Die Deckung des Geldes Eine Kritik am modernen Staatspapiergeld ist die, daß es ungedeckt sei und deshalb jederzeit plötzlich an Wert verlieren könne. Diese Kritik hat aber auch ihre inneren Widersprüche. a) Geld soll durch Waren gedeckt werden. b) Geld soll durch Edelmetalle gedeckt werden. Ich sage das auch deshalb, weil es inzwischen wieder Vorschläge gibt, einen Goldstandard einzuführen. Aber wie soll das gehen? Sobald ein Staat sagt: 200 Dirham sind so viel wie eine Unze Gold – wer glaubt ihm das? Und das Gold, um dagegen jede beliebige Menge Papiergeld eintauschen zu können, hat kein Staat, und es gibt auch gar nicht so viel davon auf der Welt.
2. 2. Gegen Einkommen ohne Arbeit, gegen Grundrente und Zins Erstens sind so Vorstellungen der Art: wer nichts arbeitet, soll auch nichts essen, von vornherein unsympathisch: Man denkt an Arbeitsdienst und Euthanasie. Irgendwie stellen diese Ansprüche eine Gesellschaft vor, in der es nur Gesunde und Arbeitsfähige gibt, und alle anderen durch den Rost fallen. Aber ich habe auch wirtschaftliche Einwände: Die Gesellsche Freiwirtschaftslehre stellt dem entwickelten Kapitalismus ein vorkapitalistisches Ideal gegenüber. Gegenüber der Scheidung der Produzenten von den Produktionsmitteln propagiert sie eine Rückführung auf einen Zustand, wo der Produzent gleichzeitig Bauer und Handwerker ist und seine Waren auch selber auf dem Markt veräußert. Sie ist daher auch populär bei Aussteigern, die ihr Heil in landwirtschaftlichen Kommunen suchen. Das erste und wichtigste, was gegen diese Freiwirtschaftslehre zu sagen ist, ist das, daß sie wirklichkeitsfeindlich ist. Es wird mit dieser Modellbauerei (und der geringste Einwand dagegen ist, daß sie rückwärtsgerichtet ist) so getan, als würde unser Wirtschaftssystem nur auf Irrtümern beruhen und man müßte nur ein besseres erfinden, um alle glücklich zu machen. Warum es um Geld geht, um Gelderwerb und Gewinn, und wer ein Interesse hat, es aufrechtzuerhalten – das interessiert nicht, dafür wird eine schöne neue Welt ausgemalt. Wie in der Gesellschen Freiwirtschaftslehre Grundrente und Zins eliminiert werden, ist auch sehr elegant: Er überlegt sich nicht, wie sie in die Welt kommen, also warum es beides gibt, sondern erklärt sie zu unerwünschten Elementen eines Baukastens, die man einfach – unter Beibehaltung anderer, guter, wie der Ware oder des Geldes – eliminieren kann. Womit wir bei seiner idealen Wirtschaft sind.
2. 3. Warenproduktion: ein menschliches Grundrecht Die Arbeit, sofern sie ehrlich und eigen ist, bekommt ein dickes Lob. Nur wer arbeitet, soll auch essen. Es ist möglich, daß Gesell nicht so gedacht hat, aber die Verlängerung ist jedenfalls drinnen. Vielleicht auch noch etwas zur Planwirtschaft, als der Marktwirtschaft entgegengesetzt: Planwirtschaft heißt doch zunächst einmal nur, daß erst einmal der Bedarf erhoben werden soll und danach die Produktion eingerichtet wird. Durch einen Plan wird sichergestellt, daß genau das hergestellt wird, was gebraucht wird. Heute, mit dem Internet wäre das wirklich überhaupt kein Problem, daß jeder seine Wünsche anmeldet, und die Produktionsmöglichkeiten ermittelt werden, und dann bringt man die beiden irgendwie zusammen.
2. 4. Geld als Umlaufmittel, Vermittler des Warentausches Manchmal wird über Silvio Gesell verbreitet, er hätte das Geld abschaffen wollen. Das ist ein Irrtum. Nein, er war Kaufmann und hat gedacht wie ein Kaufmann: Er wollte das Geld funktional machen für den Warentausch. Und er hatte seine Theorien darüber, was der Handhabbarkeit des Geldes entgegensteht. Meine Argumente gegen Tausch und Warenproduktion sind schon gefallen, die will ich jetzt nicht mehr wiederholen. Oftmals wird zur Unterstützung der Theorien Gesells die Ausgabe von regionalem Geld gebracht, als Lösung für Probleme des Geldumlaufs. Ich hab mir hier zwei Beispiele ausgesucht, um zu zeigen, warum so ein Notgeld – weil diese Gelder entstehen ausnahmslos in einer Notsituation und werden auch nur deshalb eine kurze Zeit lang geduldet – entsteht, und was es leistet.
3. Notgeld – Regionalgeld als „Lösung“ Zur Bebilderung der Theorien von Gesell wird immer wieder auf den Wörgler Freigeldversuch hingewiesen. Das Wörgler Notgeld wird von einem gewissen Glorienschein verklärt, weil es verboten worden ist. Deswegen stelle ich dem ein anderes, neueres Regionalgeld gegenüber, das erlaubt worden ist: Die argentinischen Bonos.
3.1. Wörgl Die Gemeinde Wörgl war durch die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Österreich pleite und konnte ihre Gemeindeangestellten nicht mehr bezahlen. Der Bürgermeister, ein Anhänger der Gesellschen Freiwirtschaftslehre, entschloß sich deshalb 1932 zur Ausgabe eines regionalen Geldes, das durch diverse Manöver als Geldersatz anerkannt werden sollte. Dafür garantierten der örtliche Pfarrer, und die örtliche Raiffeisenkasse. Die Gehälter der Gemeindeangestellten wurden in diesem Regionalgeld gezahlt, und es gelang in der Tat, eine regionale Zahlungsfähigkeit zu schaffen, und dadurch die Warenzirkulation in Wörgl und Umgebung zu beleben.
Ich erzähl einmal ein bißl was über Argentinien, weil die Nöte dieses Landes sind nicht so allgemein bekannt, und es steht auch in den Zeitungen eine Menge Blödsinn darüber. Argentinien hatte 1991 mit dem IWF eine Parität $-Peso ausgehandelt, um die galoppierende Inflation im Land zu stoppen und die Währung zu stabilisieren. Eine der Bedingungen dafür war, daß der argentinische Staat sich mit der Ausgabe von Geld zurückhalten mußte. Der Internationale Währungsfonds kontrollierte die Geldausgabepolitik Argentiniens. Das alles führte zum Staatsbankrott zum Jahreswechsel 2001/2002. Aber schon in den 90-er Jahren hatte die Ökonomie des knappen Geldes ihre Auswirkungen. In den Provinzen des Nordens gab es kein Geld. Was immer es dort an Industrie einmal gegeben hatte, sie war futsch. Von der Zentrale kam nichts, vor Ort war nichts. Der einzige Arbeitgeber war der Staat. Außer landwirtschaftlicher Produktion, teilweise als Subsistenz betrieben, waren die Gehaltsbezieher Lehrer, Gemeindebedienstete, Ärzte. Sie erhielten oft monatelang kein Gehalt. Wofür haben die gedient? 1. Den staatlichen Zusammenhalt überhaupt zusammenzuhalten. Wenn wir alle keine Gehälter kriegen als Staatsangestellte: Lehrer, Beamte, Ärzte – wofür arbeiten wir noch? Diese Leute wurden mit „bonos“, Regionalgeld, bei der Stange gehalten. Diese Regionalgelder entstehen in Zeiten und Regionen, in denen der Kapitalismus als Wertproduktion gescheitert ist, aber wo dennoch am Prinzip der Wertproduktion und des Warentausches festgehalten werden soll. Sie sind notwendigerweise vorübergehend: Weil Geld eben allgemeines Äquivalent ist, das den Wert repräsentieren soll.
Dies ist die Niederschrift eines Vortrags, der im April 2009 auf einem anarchistischen Kongreß in Berlin gehalten wurde. |