Liebe Herren X, Y, Z!

Ich nehme Ihre Aufforderung, eine Unterstützungserklärung für die KPÖ abzugeben, zum Anlaß, Ihnen meine grundlegenden Einwände gegen den ganzen Wahlzirkus mitzuteilen.

Meine vorherige Unterstützungserklärung für die Nationalratswahl ist so zustandegekommen, daß mich mein früherer Studienkollege A. B. angerert hat: Wir haben so wenig Zeit und die Nationalratswahl steht vor der Tür und bitte bitte! und so hab ich ihm den Gefallen getan und ihm geschrieben, ok, solang ich nicht wählen gehen muß wegen dir, so mach ichs, damit die arme Seel eine Ruh hat.

Ansonsten ist meine Einstellung zu Wahlen:

NUR DIE DÜMMSTEN KÄLBER WÄHLEN IHRE SCHLÄCHTER SELBER.

Es gab ja einmal in den Anfangszeiten der KPÖ eine Debatte darüber, ob sich diese Partei an Wahlen beteiligen soll. Die Argumente waren ungefähr so: Der bürgerliche Staat ist ein Instrument der Klassenherrschaft, seine Institutionen dienen der Aufrechterhaltung der Scheidung in Arme und Reiche und sorgen dafür, daß die Armen für die Reichen arbeiten gehen müssen und dabei selbst immer arm bleiben. Sollen wir das unterstützen, indem wir in diese Institutionen irgendwelche Leute hineinwählen – und dadurch die Institutionen bestätigen?
Die Debatte ist dann per Komintern-Beschluß beendet worden, und alle kommunistischen Parteien wurden auf die Wählerei verpflichtet.

Heute kommt kein KPÖler auf die Idee, sich zu fragen, was eine kommunistische Partei – die doch in ihrem Namen irgendwie andeutet, gegen das Privateigentum und den ganzen darauf aufbauenden Kapitalismus zu sein – eigentlich auf einem Wahlzettel verloren hat?
Ihr Brief ist ein schönes Beispiel dafür: Sie begründen überhaupt nicht, warum Sie sich an der Wahl fürs Europäische Parlament beteiligen wollen und warum ich Sie dabei unterstützen soll – nein, sie nehmen selbstverständlich an, daß ich auch das Wählen für eine feine Sache halte und Ihr Anliegen daher unterstützen werde und man mir nur gut zureden muß, damit ich die Mühe auf mich nehme, auf die Gemeinde zu traben und den Wisch bestätigen zu lassen. Als einzigen Grund, es nicht zu machen, vermuten Sie also Bequemlichkeit. Daß es Einwände gegen das Wählen-Gehen geben könnte, kommt Ihnen gar nicht in den Sinn. Und das ist auch konsequent. Müßten Sie nämlich begründen, warum ich Sie bei der Bemühung, sich für die Europa-Parlamentswahl aufstellen zu lassen, unterstützen sollte, so täten Sie sich schwer. Es ist nämlich weder einzusehen, wofür ich das Europäische Parlament brauche, noch, was die KPÖ dort zu suchen hätte.

Jahraus, jahrein tritt die KPÖ zu Nationalratswahlen – und jetzt auch Europa-Parlamentswahlen – an, wohl wissend, daß sie Null Chancen hat hineinzukommen. Während es auf Gemeinderatsebene noch hin und wieder möglich ist, ein Mandat zu ergattern, ist es auf nationaler Ebene oder EU-weit unmöglich. Dafür stürzt sich die KPÖ in Unkosten und strapaziert ihr schon arg geschrumpftes Vermögen. Ihre Mitglieder beteiligen sich an der Wahlkampagne und opfern ihre Freizeit dafür.

Man nimmt diese Partei überhaupt nur in Vorwahlzeiten wahr. Ansonsten sieht und hört man kaum etwas von ihr.

Sie macht auf jeden Fall keine Propaganda gegen den Kapitalismus. Sie klärt die Arbeiterschaft nicht über den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit auf. Stattdessen nervt sie das Publikum regelmäßig mit moralischer Empörung über irgendwelche Bösewichte, Sündenböcke, also Personengruppen, die unser angeblich so wunderbares Gesellschaftssystem darin hindern, seinen Segen über die weniger betuchten Gesellschaftsschichten auszuschütten: Politiker, die sich vom Kapital kaufen lassen und dafür dann wieder den Unternehmern die Steuergelder des kleinen Mannes in die Taschen stecken. Klagen über Ungerechtigkeit und menschliche Schlechtigkeit. Und dann wendet man sich an genau die miesen Subjekte, denen man gerade alles mögliche Schlechte nachgesagt hat, und fordert von ihnen lauter Dinge, die doch eigentlich gegen ihre Interessen sein müßten.

Man fragt sich wirklich, wofür Marx seine „Kritik der politischen Ökonomie“ geschrieben hat und warum er den Sozialismus wissenschaftlich begründen wollte, wenn nicht einmal eine Partei, die sich auf ihn beruft, sich die Mühe macht, in seine Werke hineinzuschauen und sich das eine oder andere Argument zu Gemüte zu führen.
Und überhaupt, die Forderungen der KPÖ! Wenn man ihr glaubt bzw. ihre Sicht der Dinge übernimmt, so gibt es Armut und Elend überhaupt nur deshalb, weil noch nicht der richtige Steuersatz für die verschiedenen Bevölkerungsschichten gefunden worden ist!

Schließlich, zum Abschluß: Marx schreibt in der „Kritik des Gothaer Programms“ über die Demokratie, sie sei die „letzte Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft“, in der „der Klassenkampf definitiv auszufechten ist.“

Er meinte damit nicht das Antreten zu Europa-Parlamentswahlen.

(2009)

 

 

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