DIE
KONJUNKTUREN DER ATOMENERGIE-GEGNERSCHAFT UND DAS AKW IN TEMELÍN
I. AKW-GEGNER, WO SEID IHR GEBLIEBEN?
oder
WIE UNGEFÄHRLICH SIND ATOMKRAFTWERKE?
Die Zeiten, wo der Protest gegen die Atompolitik der
eigenen Regierung Leute auf die Straße brachte, sind endgültig
vorbei. Im Land der einst stärksten Anti-Atom-Bewegung, in der BRD,
haben die einstigen Protestierer mitsamt derjenigen Partei, die mit ihrer
Anti-Atom-Linie in früheren Zeiten erfolgreich auf Stimmenfang gegangen
ist, ihren Frieden mit der Kernenergie gemacht und sich anderen, dringlicheren
Problemen zugewandt.
Dabei ist es ja nicht so, daß die Einwände, die seinerzeit
gegen Brokdorf, Gorleben und woran sich der Protest noch entzündet
hat, ihre Gültigkeit verloren hätten. Die Dinger stehen noch,
schädigen die Umgebung und sind gefährlich wie eh und je. Sie
haben nicht aufgehört, schädliche Strahlung abzugeben. Das ginge
auch gar nicht. Die kontrollierte Kettenreaktion, auf der der Betrieb
eines AKW beruht, setzt in einem fort Strahlung frei, deren nachteilige
Wirkung auf den menschlichen Organismus eindeutig nachgewiesen ist. Sie
dringt in gewisser Menge durch alle Mäntel durch, mit
denen ein Reaktorkern umgeben ist, gelangt ferner über das Kühlwasser
und die Schornsteine in die Luft oder die Gewässer rundherum. Diese
Strahlung wird auch ständig gemessen, ihre Existenz ist bekannt,
aber sie interessiert nur mehr unter dem einen Gesichtspunkt: Ob sie sich
innerhalb der vorgegebenen Grenzwerte bewegt. Die Festsetzung von Grenzwerten
ist jedoch bereits der politische Beschluß, die dort arbeitenden
oder lebenden Menschen schädlichen Substanzen auszusetzen. Es wird
ein Wert festgesetzt, innerhalb dessen sie den Dreck einfach aushalten
müssen. Und die Radikalität von Umweltschützern, die freundlicherweise
manchmal den Menschen auch unter die gefährdeten Arten einreihen,
besteht dann nur mehr darin, eine Herabsetzung der zulässigen
Höchstdosis der diversen Gifte zu fordern als ob halb
so viel Dreck schon genauso gut wäre wie saubere Luft, Wasser usw.!
So kann man schließlich seinen Frieden mit den ungesunden Substanzen,
die einem aufgenötigt werden, und mit dem Wirtschaftssystem, das
sie hervorbringt, machen. Die ständige kleinweise Schädigung
von Menschen ist dann gar kein Ärgernis mehr, das irgendjemand beseitigen
möchte, sondern einfach ein Tribut an die moderne Zeit, an den technischen
Fortschritt. Zur Untermauerung dieses Standpunktes werden dann so hochkarätige
Argumente aufgefahren wie:
Die natürliche Strahlung sei auch vorhanden und
hätte auch nachgewiesen schädliche Wirkungen. Die AKWs tun da
nicht mehr viel hinzu. (Wobei der Begriff natürlich nichts
anderes heißt als: Was wir seit Hiroshima oder schon vorher an Radioaktivität
in die Erdatmosphäre gelassen haben, definieren wir jetzt als natürlich.)
Oder man beruft sich auf anders geartete Schadstoffe, wie Kohlendioxid
oder Formaldehyd oder Dioxin, die ja auch nicht gerade gesund sind. Das
wäre zwar nur ein Grund dafür, die Menschen nicht noch zusätzlich
mit Alpha- bis Gamma-Strahlen zu belasten, aber es ist genau umgekehrt
gemeint: Wenn sie das eine aushalten, kann ruhig noch ein Schäuferl
zugelegt werden.
Die westeuropäischen Reaktoren gelten somit als sicher, ungeachtet
der Tatsache, daß die im vorigen Jahr festgestellten 120 Risse am
stillgelegten deutschen AKW Brunsbüttel Anlaß für eine
Überprüfung aller bundesdeutschen AKWs waren. (Salzburger Nachrichten,
11.2. 1992) Dieses Phänomen der Risse an technisch sehr empfindlicher
Stelle, das früher nur in AKWs des sowjetischen Typs aufgetreten
ist, wurde in den letzten eineinhalb Jahren vermehrt auch an westeuropäischen
AKWs festgestellt und soll laut Greenpeace ungefähr die Hälfte
aller westeuropäischen AKWs betreffen. (Nach einer Greenpeace-Studie
vom März 1993) Die Kritik der AKWs, wie sie von Greenpeace als den
letzten, die noch in irgendeiner Form auf der Gefährlichkeit aller
AKWs beharren, geäußert wird, hat ihren Mangel unter anderem
darin, daß immer mit der Gefahr eines Unglücks, eines Störfalles,
eines etwaigen GAUs operiert wird, die ganz normale Strahlung eines funktionierenden
AKWs aber gar keiner Rede wert ist.
Außerdem beinhaltet diese Kritik eine verkehrte
Vorstellung davon, wie die europäischen Regierungen sich um
die Gesundheit ihrer Untertanen sorgen: Sie betreuen nämlich die
Volksgesundheit, was nicht mit der Absicht zu verwechseln ist,
daß alle gesund sein oder werden sollen. Die Leute und ihre Gesundheit
sind nämlich dafür da, um für die Wirtschaft
benützt zu werden. Daß sie bei der Arbeit, beim Konsum
und in der Freizeit allen möglichen Giften ausgesetzt sind, läßt
sich genau dann nicht vermeiden, wenn die Emission dieser Gifte als unabdingbare
Notwendigkeit der Konkurrenzfähigkeit der einheimischen Industrie
und Landwirtschaft festgesetzt worden ist. Also besteht dann die Gesundheitspolitik
des Staates darin, den Schaden mit seinem Gesundheitswesen zu betreuen
und mit Gesetzen zu beschränken. Diese Beschränkung durch
Grenzwerte und Arbeitsschutzverordnungen heißt für die Betroffenen:
Es sollen nicht zu viele draufgehen und die anderen sollen soweit gesund
bleiben, daß ihre Funktionalität für Arbeit und Fortpflanzung
nicht grundlegend in Frage gestellt ist. Wenn sie dabei irgendwelche Wehwehchen
haben, müssen sie sich halt zusammenreißen, Diät
halten, nicht rauchen, usw. Auf die radioaktive Strahlung in AKW-Nähe
bezogen heißt das: Die Zahl von Mißgeburten und Krebserkrankungen
darf ein gewisses Maß nicht überschreiten. Diejenigen, die
es trotzdem erwischt, waren dann eben besonders anfällig.
Das sind die netten Nebenerscheinungen des Normalbetriebes eines sicheren
AKWs.
Auch die so definierte Sicherheit hat natürlich
ihren Preis: Durch Strahlung angegriffene Isolierungen, Ventile usw. müssen
regelmäßig ausgetauscht werden, was erstens die Kosten und
zweitens den anfallenden verstrahlten Müll erhöht. Da ein kapitalistischer
Betreiber sehr wohl darauf bedacht ist, seine Kosten niedrig zu halten,
so hat es ja auch im Westen jede Menge Störfälle in AKWs gegeben,
um mit dem englischen Sellafield und dem amerikanischen Three Mile Island
nur die bekanntesten zu nennen. Störfall heißt:
Es ist mehr als die gesetzlich erlaubte Normalmenge an Strahlung aus dem
Reaktor entwichen und die Kettenreaktion drohte außer Kontrolle
zu geraten. Daß es immer wieder zu inzwischen nicht mehr
an die große Glocke gehängten Störfällen
in AKWs kommt, liegt wiederum an den Geschäftskalkulationen der Betreiber:
Bei gewissen Schäden müßte das AKW abgeschaltet oder mit
deutlich verringerter Leistung gefahren werden, um den Defekt zu beheben.
Um die Verluste zu vermeiden, die ein solcher Schritt unweigerlich nach
sich ziehen würde, wird eben die längste Zeit versucht, den
Schaden auf andere Weise zu reparieren. Die Geschädigten dieser Praxis
sind meistens die AKW-Angestellten, die sich mit Sonderprämien darüber
hinwegtrösten dürfen, daß ihre Lebenserwartung unter dem
Landesdurchschnitt liegt.
Daß sich der bisher folgenschwerste Unfall dann
im sowjetischen Tschernobyl ereignet hat, ist auch kein Wunder: Sparsamkeit
in der Anwendung der Mittel war dort seit jeher ein Prinzip der sozialistischen
wirtschaftlichen Rechnungsführung. Ein paar Jahre Perestrojka
haben darüberhinaus die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Republiken
und Betrieben kräftig gestört, was auf die Lieferung von Ersatzteilen
und in Folge auf die Wartung von AKWs nicht ohne Folgen geblieben ist.
Die weitverbreitete Ansicht, sowjetische AKWs seien per se gefährlich,
ist aus dem Tschernobyl-Unfall jedoch nicht abzuleiten, obwohl er immer
zur Bebilderung herangezogen wird. Die Unfälle im Westen haben ja
die Politiker auch nicht dazu veranlaßt, sofort alle AKWs dieses
Typus stillegen zu lassen. Da hat man sich im Gegenteil darum bemüht,
durch das Feststellen von Versäumnissen und Gerichtsverfahren
den Ausnahmecharakter eines solchen Unfalles herauszustreichen,
also seine Notwendigkeit zu bestreiten.
In der Sowjetunion kam dieser Unfall hingegen goldrichtig, um das Vorurteil
zu bestätigen, dort herrsche eine Mißwirtschaft, dieser Staat
verfüge also über gar keine richtige Ökonomie, sondern
über einen Sauhaufen, in dem nichts funktioniert. Daher seien auch
die dortigen AKWs als tickende Zeitbomben zu betrachten, auch heute, wo
in den GUS-Staaten niemand mehr etwas von Kommunismus wissen will.
Die wissenschaftliche Welt, das sei nur nebenbei angemerkt, war lange
Zeit anderer Meinung: Noch 1983 wurde der Reaktor vom Tschernobyl-Typ
in westdeutschen Atomfachzeitschriften als besonders sicher und wartungsfreundlich
bezeichnet. Auch der Einsatz von Graphit als Moderator ist etwas, das
einige westeuropäische Reakoren ebenfalls aufweisen. Im Fehlen eines
Notkühlsystems unterscheidet sich der Tschernobyl-Reaktor von westlichen
AKWs, wobei jedoch die Tauglichkeit, die dieses Notkühlsystem im
Ernstfall d.h., wenn die Kettenreaktion nicht mehr unter Kontrolle
gebracht werden kann hätte, unter westlichen Experten stark
in Zweifel gezogen wird.
II. ÖSTERREICH UND TEMELÍN
1. Atomenergiefreie Moralwachtel Österreich
In Österreich ist die Lage ein bißchen anders
als in denjenigen Staaten, die seinerzeit in großem Maßstab
auf die Atomenergie gesetzt haben, wie die BRD, Frankreich oder die USA:
Da hierzulande außer dem Forschungsreaktor in Seibersdorf keine
Kernkraftwerke existieren, spielt sich die österreichische Regierung
gegenüber anderen Staaten gern als Mahner und Warner vor der Gefährlichkeit
der Atomkraft auf. Österreich ist auch kein Exporteur von AKW-Technologie
(einige kleine Zulieferer deutscher Firmen ausgenommen), wie die BRD oder
Frankreich, ist daher nicht ökonomisch interessiert am Ausbau der
osteuropäischen AKWs. Die einheimischen Grünen und ihre Anhänger
können sich ruhigen Gewissens der Regierung anschließen, sie
womöglich noch überholen, wenn diese sich im Namen der österreichischen
Volksgesundheit sehr frech in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischt.
Das oben in Bezug auf die BRD Festgestellte westliche AKWs sind
kein Thema mehr für Oppositionelle gilt für Österreich
jedoch auch: Als gefährlich gelten nur mehr die Atomkraftwerke Osteuropas.
Wobei hier auch ein feiner Unterschied existiert zwischen grenznahen,
die als Gefahr besprochen werden und z.B. ukrainischen wie
dem Reaktor von Tschernobyl, aus denen Österreich Strom importiert.
2. Freche Angriffe auf die Souveränität Tschechiens
Zunächst eine kurze Chronik des österreichischen
Polit-Theaters mit dem Titel Temelín:
In einer Debatte des Nationalrates vom 22. 4. dieses
Jahres wurde das Thema der gefährlichen AKWs rund um Österreich
eigens auf die Tagesordnung gesetzt. Dem Fernsehzuschauer, der an diesem
Ereignis teilnehmen durfte, wurde ein Szenario dieser Gefahr frei ins
Haus geliefert. Zu sehen war Österreich, umgeben von den folgenden
AKWs: (dem noch gar nicht in Betrieb befindlichen) Temelín, ferner
dem tschechischen Reaktor von Dukovany, dem slowakischen AKW in Bohunice
und dem slowenischen AKW Krsko. (Aus unerfindlichen Gründen wurde
das ungarische AKW in Paks weggelassen.) Die bayrischen und Schweizer
AKWs waren auf diesem Bild nicht abgebildet.
Der Tonfall, in dem diese Debatte geführt wurde
Tenor: Welche Mittel muß man einsetzen, um den Nachbarstaaten
ihre AKWs zu verunmöglichen? hat den SPÖ-Abgeordneten
Cap dazu veranlaßt, die versammelte Mannschaft daran zu erinnern,
daß es sich bei Tschechien, Slowenien usw. immerhin um souveräne
Staaten handelt, denen man das nicht so ohne weiteres anschaffen könnte,
um dann selbst auf der gleichen Schiene weiterzufahren: Wie muß
man diese Regierungen dann beeinflussen, um sie doch noch herumzukriegen?
Cap schlägt z.B. die Finanzierung von AKW-Gegnern in Tschechien vor.
Anläßlich des Beschlusses der tschechischen Regierung, Temelín
fertigzubauen, haben diese diplomatischen Frechheiten noch zugenommen:
Der Bundeskanzler beruft sich (wie sich später herausstellte, ein
leere Drohung,) auf die Weltbank, als ob ein Anruf von ihm genügen
würde, die Weltbank zu einer Finanzierungssperre Temelíns
zu bewegen. Der oberösterreichische Landeshauptmann fordert eine
Änderung des Völkerrechts, um sich besser einmischen zu können.
Der grüne Abgeordnete Peter Pilz will den EG-Gerichtshof anrufen
ausgerechnet Pilz, der der EG sonst ja nicht so grün ist!
und droht mit einem Volksbegehren, sollte die österreichische
Regierung den Ausbau von Temelín nicht verhindern. (Standard, 20.
3. 93)
Was soll sie denn machen, die österreichische Regierung?
Einmarschieren lassen, oder was?
Für die FPÖ stellt der Beschluß der tschechischen
Regierung, ihr eigenes AKW fertigbauen zu wollen, eine Provokation
dar. (Salzburger Nachrichten, 11. 3. 1993) Der grüne Abgeordnete
Anschober brüstet sich, Temelín genauso verhindern zu wollen
wie Wackersdorf als ob Wackersdorf ausgerechnet wegen Herrn Anschober
oder den österreichischen Grünen nicht gebaut worden wäre!
Diese ganzen Drohgebärden wirken angesichts des
geringen Gewichts, das die Meinung österreichischer Politiker in
der Welt hat, leicht lächerlich, und das ist einigen einheimischen
Kommentatoren ja auch aufgefallen. Lächerlich daran ist, daß
Österreich nicht über die Mittel verfügt, um seine
Absichten durchzusetzen. Das Vorhaben, das in den oben zitierten
Aussagen zur Sprache kommt, hats aber in sich: Einem Nachbarstaat wird
da die Verfügung über sein Land und seine Leute, das also, was
seine Souveränität ausmacht, bestritten. Der tschechische
Staat darf nicht nur in der großen weiten Welt nichts, was ihm nicht
ausdrücklich von den westlichen Industriestaaten erlaubt worden wäre,
nein, auch bei sich zuhause soll er sich hübsch nach dem richten,
was einer auswärtigen Regierung genehm ist.
Zur Verdeutlichung ein umgekehrtes Beispiel: Wenn die österreichische
Regierung meint, beim Transit von EG-Lastern durch österreichische
Täler würden Hoheitsrechte verletzt, so hat sie ein Bewußtsein
davon, was es heißt, wenn ein Staat innerhalb seiner Grenzen fremde
Interessen mitberücksichtigen muß. Wenn der zuständige
Minister dann zähneknirschend die Zustimmung dafür gibt, daß
die Brummer weiterhin durchfahren dürfen, so tut er das in dem Bewußtsein,
daß die Interessen, die Österreich mit der EG verbinden, die
Nachteile, die der Transit mit sich bringen mag, bei weitem überwiegen.
Dieser latent immer vorhandene Gegensatz zwischen Staaten,
die einander benützen wollen und dabei notwendigerweise auch schädigen
der Nutzen der einen geht halt meist nicht ohne Schaden für
die anderen ist gegenüber den Staaten des ehemaligen Ostblocks
ein sehr einseitiges Verhältnis: Für den eher ideellen Lohn,
daß sie jetzt auch in westlichen Gremien als Zaungäste sitzen
dürfen, hin und wieder von deutschen und US-Präsidenten empfangen
werden, müssen sie ebendort Exportbeschränkungen aller Art,
Schubabkommen, Wiedergutmachungsforderungen, Umschuldungsabkommen usw.
aushandeln, die dafür sorgen, daß ihre Zweitrangigkeit in der
Staatenwelt festgeschrieben, sogar noch verstärkt wird.
Das österreichische Gezeter wegen Temelín ist ein Versuch,
an diesem Diktat gegenüber der Staatenwelt Osteuropas teilzunehmen,
es steht für die noch? nicht umsetzbaren imperialistischen
Ansprüche Österreichs, die im Windschatten der BRD immer wieder
erklingen und ein Ausdruck von Gewaltverhältnissen sind: Von denen,
die bereits herrschen und von denen, die noch hergestellt werden sollen.
Wer sich daher über Caps und Pilze lustig macht, möge bedenken,
worüber er da eigentlich lacht über einen gewaltträchtigen
Anspruch nämlich, für dessen Durchsetzung er vielleicht einmal
seine Haut zu Markte tragen muß.
3. Wir helfen ja so gern!
Bei so viel aufgeregtem Getöse darf natürlich
die versöhnlich ausgestreckte Hand nicht fehlen, damit es nicht ganz
so national-egoistisch aussieht: Der immer wieder aufgewärmte Vorschlag,
Tschechien durch kostenlose Stromlieferungen vom Bau Temelíns abzubringen,
stellt ein reines propagandistisches Ornament dar, dem jede reale Grundlage
fehlt. Die österreichische E-Wirtschaft hat das in Person des Direktors
Fremuth einmal dezidiert dementiert, danach war ihr dieser Vorschlag keiner
weiteren Erwähnung wert.
Es wäre ja auch etwas ganz Neues, wenn im Kapitalismus auf einmal
Waren hergeschenkt würden, die produziert worden sind, um mit Gewinn
verkauft zu werden. Noch dazu in dieser Größenordnung: Die
beiden ersten Blöcke Temelíns, die 1996 ans Netz gehen sollen,
haben eine projektierte Leistung von 1000 Megawatt.
Das Angebot ist aber, abgesehen von dem Unernst, mit dem es
gemacht wurde, selber schon eine Frechheit: Hilfslieferungen, sozusagen
Strom-Care-Pakete, will man den Tschechen schon schicken, wegen uns sollen
sie nicht frieren im Winter, aber die Berechnungen, die der tschechische
Staat in Bezug auf seine Wirtschaft hat, kommen in diesem Angebot nicht
vor. Er verfügt schließlich über eine ansehnliche Industrie,
möchte Strom und mit Strom produzierte Güter exportieren, deswegen
will er sein Kraftwerk bauen genauso wie die österreichische
Verbundgesellschaft auch! Wieso sollte der tschechische Staat sich also
mit ein paar österreichischen Kilowatt abspeisen lassen?
Die EBRD-Bank, die Kredite für Umbau und Reparatur von osteuropäischen
AKWs zur Verfügung stellt, soll von der österreichischen Regierung
dahingehend beeinflußt werden, Tschechien zweckgebundene Kredite
für den Umbau Temelíns in ein Gaskraftwerk zur Verfügung
zu stellen. Womit einmal die Überlegung angesagt ist, was die tschechische
Regierung eigentlich dazu veranlaßt hat, die Fertigstellung Temelíns
zu beschließen.
III. DIE BEDEUTUNG TEMELÍNS FÜR TSCHECHIEN UND DIE GRÜNDE
FÜR SEINE FERTIGSTELLUNG
1. Importabhängigkeit auf dem Energiesektor ein Ärgernis
Energie ist zwar einerseits eine Ware wie jede andere:
Sie wird hergestellt, um verkauft zu werden, der Hersteller will mit ihr
ein Geschäft machen.
Nationalökonomisch betrachtet, unterscheidet sich die Energie jedoch
von Strümpfen und Speiseeis, die unter gleichen Umständen das
Licht der Welt erblicken, ziemlich erheblich: Sie stellt eine Grundlage
der Wirtschaft eines Landes dar; bevor Wohnzimmer damit geheizt und PKWs
in Betrieb genommen werden, mußten sie einmal selbst unter Verwendung
von Strom und Brennstoff hergestellt werden. Die gesamte Industrie, Landwirtschaft
und Infrastruktur eines Landes ist von der Zufuhr der notwendigen Energie
abhängig. Wenn ein Staat wie die CSFR bzw. ihre Nachfolgestaaten
mit dem Systemwechsel und der Auflösung des RGW ihre gesamte Energie-Einkaufs-
und Lieferpolitik in Frage gestellt sieht, so ist eine Krise von größerer
Tragweite zu konstatieren, als die einer defizitären Schuh- oder
Elektronikindustrie. Die Energiefrage ist daher auch seit Jahren ein Dauerbrenner
der tschechischen Innen- und Außenpolitik.
Die ehemalige CSFR hat im Rahmen der RGW-Verträge, die sie sehr genau
eingehalten hat, große Mengen an fossilen Brennstoffen wie Erdgas
und Erdöl aus der Sowjetunion bezogen, die sie inzwischen in Devisen
bezahlen muß. Das einzige, was eine Kostenexplosion auf dem Energiesektor
verhindert hat, ist der rasante Produktionsrückgang in der CSFR bzw.
ihren Nachfolgestaaten, der den inländischen Energiebedarf stark
verringert hat. Über die Bedeutung dieser Importe aus der SU legt
die Drohung Vladimir Mečiars Mitte Mai Zeugnis ab, Tschechien den
Ölhahn abzudrehen. Tschechien könne nur 10 Tage ohne die russischen
Öllieferungen durchhalten. Das wurde von tschechischer Seite bestätigt.
Um den Devisenabfluß zu verringern bzw. sogar selbst Strom
eines der wenigen Produkte aus Osteuropa, bei denen von Importbeschränkungen
bisher noch keine Rede war als Devisenbringer exportieren zu können,
ist ein Ausbau der Energieproduktion notwendig.
2. Die Energiequellen und ihre Tücken
Die Steinkohle aus Ostrau und die nordböhmischen
Braunkohlekraftwerke können den Inlandsbedarf allein nicht decken,
obwohl die Energie aus den kalorischen Kraftwerken immerhin zwei Drittel
des gesamten Strombedarfs der ehemaligen CSFR deckte. Allerdings mit einem
Wirkungsgrad, der ungefähr die Hälfte des österreichischen
Dürnrohr beträgt und mit besonders hoher Umweltbelastung verbunden
ist, da die Kraftwerke kaum über Filteranlagen verfügen. Außerdem
wird die Braunkohle im Tagbau gewonnen, verschmutzt also noch einmal zusätzlich
die Umgebung. Das alles wäre nicht weiter tragisch auch die
tschechische Regierung steht auf dem Standpunkt, daß Land und Leute
zunächst einmal dazu da sind, um für die nationale Wirtschaft
nützlich zu sein. Die Schadstoffemissionen haben aber anscheinend
ein Ausmaß erreicht, die die Brauchbarkeit der dortigen Bewohner,
vor allem der jüngeren Generation, ernsthaft in Frage stellt. Deswegen
werden die Umweltbedingungen in Nordböhmen in letzter Zeit in regelmäßig
von den tschechischen Politikern thematisiert.
Der Ausbau der Wasserkraft, deren Anteil derzeit verschwindend gering
ist, würde unangenehme Folgen haben. Die ohnehin bereits sehr starke
Verschmutzung der Gewässer und die daraus resultierende Belastung
des Grundwassers, aus dem die meisten Bewohner Tschechiens ihr Trinkwasser
beziehen, würde nämlich durch Aufstauen noch erhöht. Diese
Variante der Stromerzeugung wurde daher in Tschechien nicht ins Auge gefaßt.
(Nach einer Studie des Ökologie-Institutes aus dem Jahr 1990)
Der Umbau in ein Gaskraftwerk, den die österreichische Seite ihren
Nachbarn so warm ans Herz legt, ist für Tschechien uninteressant,
weil es die Abhängigkeit von Gasimporten und den dadurch bedingten
Devisenabfluß erhöhen würde, den die tschechische Regierung
ja gerade vermeiden will.
Denn die Atomenergie hat demgegenüber gerade den Vorteil, daß
die Kosten für den Energie-Rohstoff die Uran-Brennstäbe
relativ gering im Vergleich zu der daraus gewonnenen Energie sind,
ihr Import also verhältnismäßig wenig Devisen verschlingt,
während die Kosten für Wartung und Ersatzteile, so die Berechnung,
sich vornehmlich in tschechischen Kronen niederschlagen. (Die Skoda-Werke
in Plzen stellen unter anderem auch AKW-Technologie her.) In diesem Sinne
hat Václav Klaus auch die Entscheidung für den Ausbau Temelíns
begründet. (Hospodarské Noviny, 10. 2. 1993)
Diese Überlegung ist für einen Weichwährungsstaat besonders
wichtig und dürfte auch andere osteuropäische Staaten zum Ausbau
oder zumindest zur Beibehaltung ihrer AKWs bewegen. Tschechien tritt ja
auf den Weltmarkt nicht als Käufer, dessen Geld anstandslos von jedem
ausländischen Betrieb als Zahlungsmittel angenommen würde
wie der US-Dollar oder auch der belgische Franc. Tschechien hat eine Währung,
die außerhalb des Landes keiner will, mit der es daher auch nichts
kaufen kann. Was der tschechische Staat oder auch ein tschechischer Betrieb
aus dem Ausland beziehen will, muß mit Devisen bezahlt werden, die
aber erhält er nur, wenn er vorher etwas verkauft, was auf einem
westlichen Markt nachgefragt wird und was ein ausländischer Staat
überhaupt einmal auf seinen Markt läßt. Gerade letzteres
stellt heute das Haupthindernis für tschechischen Export dar. Die
Schwierigkeit des Devisenerwerbs nötigt daher den Politikern Tschechiens
Überlegungen über die Beschränkung von Devisen-Einkäufen
auf.
3. Atomkraft hui, Braunkohle pfui
Bei ihrem Entschluß, die Atomkraft auszubauen,
lassen sich die tschechischen Politiker allerdings nicht nur von ökonomischen
Überlegungen leiten.
Sie geben erstens dem Atomstrom den Vorrang vor heimischen Energieträgern.
Der überzeugteste Temelín-Gegner in Tschechien ist der Zentralbetriebsrat
der nordböhmischen Kohlekraftwerke, Jan Prokeš, der wiederholt
darauf hingewiesen hat, daß für die Kosten, die der Ausbau
Temelíns verursacht, diese Kraftwerke die allein 40% des
Strombedarfes Tschechiens produzieren auf den neuesten umwelttechnischen
Standard gebracht werden könnten. Zusätzlich könnte durch
Umbau auch ihre Leistung beträchtlich gesteigert werden.(Salzburger
Nachrichten, 30. 10. 1992) Die Gegenargumente der Temelín-Befürworter,
unter ihnen Václav Klaus, sind denen westlicher Atom-Lobbyisten
kongenial: Einwände gegen die Atomenergie seien irrational, beruhten
auf Ängsten und Desinformation, d.h., sie seien völlig unbegründet.
Nach der Logik, daß das, was man nicht sieht oder riecht, auch nicht
existiert, behaupten sie, der Atomstrom sei die sauberste und damit menschenfreundlichste
Form der Energiegewinnung. (In diesem Sinne äußerte sich Václav
Klaus vor Mittelschülern im mährischen Zlín und der tschechische
Umweltminister František Benda bei einer Pressekonferenz in Prag,
Salzburger Nachrichten, 20. 2. 1993) Sie winken mit dem Versprechen, mit
der Inbetriebnahme von Temelín die kalorischen Kraftwerke und auch
die Braunkohlegewinnung, also den durch Filter nicht verbesserbaren Abbau,
in Nordböhmen einzustellen und damit die Lebensqualität der
Bewohner von Most, Teplice und Umgebung zu verbessern. Sodaß die
Umweltschützer in Nordböhmen, im Unterschied zu Prokeš,
für die Inbetriebnahme Temelíns sind.
Die letzten Gründe, warum Klaus & Co. für Atomenergie und
gegen die Braunkohle sind, lassen sich aus diesem Streit nicht ganz erschließen.
Mag sein, daß sie wirklich glauben, Radioaktivität sei
weniger ungesund als Kohlenstaub.
Vielleicht befürchten sie, daß ihre Vorräte an
Braunkohle bald erschöpft sein könnten.
Mag sein, daß die Optik eines AKWs ihren Vorstellungen von
Europa und modern mehr entspricht, als brauner
Kohlenstaub, der sie noch zu sehr an den untergegangenen Arbeiterstaat
erinnert.
Tatsache ist jedenfalls, daß sie für Temelín bereit
sind, ausländische Kredite aufzunehmen, die für die Modernisierung
der kalorischen Kraftwerke nicht oder in geringerem Ausmaß benötigen
würden. Was das oben angeführte Argument der Billigkeit der
Brennstäbe ein wenig relativiert.
4. Mit Atomkraft in Richtung Europa
Der Ausbau von Temelín hat zweitens einen starken
ideologischen Aspekt: Er steht für Václav Klaus Europapolitik
und die Abkehr von den ehemaligen Bruderländern des RGW.
Temelín, wie auch die restlichen tschechischen
und slowakischen AKWs, wurde von der Sowjetunion gebaut. Das Abkommen
zwischen der CSSR und der UdSSR betreffend Temelín wurde 1981 abgeschlossen.
Es sah außer dem Bau auch die Lieferung der Brennstäbe und
die Übernahme des radioaktiven Abfalls durch die UdSSR vor. Der Bau
hat sich aus verschiedenen Gründen verzögert, der Unfall von
Tschernobyl hatte schließlich einen Baustopp zur Folge. Der ganze
Rohbau, die Kühltürme und der Druckkessel der Anlage stehen
jedoch bereits seit geraumer Zeit.
Der Ausbau der Atomenergie in der CSFR wurde dann eine Zeitlang überhaupt
in Frage gestellt. Erst mit dem Systemwechsel erwachte die Debatte um
den Atomstrom zu neuem Leben. Dies jedoch sofort mit Blickrichtung Westen.
Das Abkommen mit der UdSSR bzw. Rußland als deren Rechtsnachfolger
wurde nie aufgekündigt. Unter Ignorieren dieses Abkommens beauftragte
die tschechische Regierung die amerikanische Firma Westinghouse mit der
Ausarbeitung der Pläne für ein automatisches Steuerungssystem,
diese Firma verpflichtete sich auch zur Lieferung der Brennelemente. Das
Ministerium für Atomenergie und das Außenministerium der Russischen
Föderation haben wiederholt Schreiben an Behörden der Tschechischen
Republik gerichtet, in denen an das immer noch gültige Abkommen erinnert
wurde. Außerdem weist die russische Seite darauf hin, daß
aus der Vermischung zweier verschiedener technologischer Systeme Probleme
entstehen können, die bei einem AKW besonders bedenklich sind, vor
allem, da die russischen Techniker überhaupt nicht zur Konsultation
herangezogen worden sind.
Diese Schreiben sind von tschechischer Seite allesamt unbeantwortet geblieben.
Die Regierung Tschechiens legt also Wert auf eine offensichtliche Brüskierung
der Russischen Föderation, eines Wirtschaftspartners, mit dem man
einfach so wenig wie möglich mehr zu tun haben will. (Diese Haltung
zeigt sich übrigens auch an anderen Projekten Tschechiens, wie der
Neuausstattung der Prager U-Bahn, von der das russische Anbot mit fadenscheinigen
Gründen von Anfang an ausgeschlossen wurde.) Als offizielle Begründung
gilt immer der Verweis auf die Gefährlichkeit russischer AKWs mit
Berufung auf Tschernobyl. Demgegenüber weist die russische Seite
darauf hin, daß Temelín ein völlig anderer Reaktortyp
(sog. Druckwasserreaktor) ist als der Unglücksreaktor
von Tschernobyl (sog. graphitmoderierter Druckröhrenuranreaktor),
dessen restliche Blöcke, daran sei erinnert, noch immer in Betrieb
sind. [Komsomolskaja Pravda (Russische Tageszeitung), 16. 3. 1993.
Alle Informationen über die russische Sichtweise bezüglich Temelín
aus dem in dieser Nummer erschienenen Artikel »Koffer«-Stimmung.
Wie Rußland von den osteuropäischen Märkten verdrängt
wird.]
Auch die Versicherung, das Engagement mit Westinghouse würde den
Sicherheitsstandard wesentlich verbessern, zieht eben nur bei jemandem,
der sowieso meint The West is the best, und der von den immanenten
Risikofaktoren der Atomenergie nichts wissen will. Übrigens weist
das Österreichische Ökologieinstitut darauf hin, daß es
in den letzten 2 Jahren zu drei größeren Störfällen
bei Westinghouse-Reaktoren in den USA gekommen ist. (Salzburger Nachrichten,
10. 3. 1993)
Ungeklärt ist in diesen Verhandlungen mit Westinghouse
die Frage der atomaren Abfälle. In Dukovany, wo das zweite
AKW Tschechiens steht, soll ein Zwischenlager eingerichtet werden. Die
dortigen Behörden haben bereits Widerstand angekündigt, sie
wollen nicht zum atomaren Abfallkübel des Landes werden.
Die Slowakei, die ihre Beziehungen zu Rußland nicht so radikal kappen
will wie Tschechien, verhandelt mit Rußland über die Lagerung
des bei den slowakischen AKWs anfallenden Atommülls. Angeblich ist
nur noch die Frage des Transits durch die Ukraine zu regeln. (Presse,
24. 2. 1993) Von Tschechien sind keinerlei Schritte in diese Richtung
geplant, wie aus der Behandlung der russischen Einwände klar hervorgeht.
In einer offiziellen Aufstellung der tschechischen Elekrizitätsgesellschaft
ČEZ über die projektierten Kosten Temelíns werden die
Kosten für die Entsorgung ausdrücklich in $ angeführt.
(Hospodarské Noviny, 3. 3. 1993)
Die französische Firma Cogema, die die Wiederaufbereitungsanlage
in La Hague betreibt, liegt der tschechischen Regierung bzw. ihren Vorgängern
seit geraumer Zeit in den Ohren, doch sie mit der Entsorgung zu betrauen.
Diese ganze Episode wirft ein bezeichnendes Licht auf
die Stellung, die Tschechien zwischen Ost und West einnehmen will. Durch
Ausbau der Geschäftsbeziehungen mit dem Westen um jeden Preis,
also auch, wenn die tschechische Seite nur draufzahlt; durch Auflösung
möglichst aller Beziehungen zu den ehemaligen Partnerstaaten (hier
geht es ausgewogener zu: beide Seiten haben dabei einen Schaden),
soll der Beweis geliefert werden, daß Tschechien einfach zum
Westen gehört. Klaus und seine Mannschaft meinen offenbar, die
internationale Staatengemeinschaft sei so etwas wie eine höhere Schule,
in der man eine Reihe von Prüfungen ablegen muß, um zur Universität
zugelassen, d.h., in die Reihen der westlichen Industriestaaten aufgenommen
zu werden. Durch eine Reihe von Aktionen, die mehrheitlich gegen die Wirtschaft
Tschechiens bzw. was davon noch übrig ist, ausschlagen, wollen die
Politiker dieses Landes ihre Botmäßigkeit demonstrieren, in
der durch nichts zu erschütternden Hoffnung, daß dieses Sich-Andienen
von westlicher Seite irgendwann einmal belohnt werden muß.
Der Haken an dieser ständigen Demonstration ist, daß sie nicht
so recht die angestrebten Konsequenzen zeitigt. Die protektionistischen
Maßnahmen gegenüber tschechischen Produkten nehmen eher zu
als ab. Investoren nutzen Tschechien, wenn überhaupt, als Billiglohnland
mit großzügigen Steuer- und Umweltbedingungen, betrachten es
also eher als eine Art Brasilien oder Taiwan. Die tschechische Krone hat,
was Abwertungen betrifft, die Trennung bisher etwas besser überstanden
als ihre slowakische Halbschwester, ist aber von Konvertibilität
genausoweit entfernt wie diese. Die Produktion ist das 4. Jahr in Folge
rückläufig. Und so weiter. Je mehr Tschechien sich bemüht,
den Staub seiner realsozialistischen Vergangenheit von den Füßen
zu schütteln und EG- und US-Politikern seiner vollsten Zustimmung
zu allem, was diese gerade fordern, zu versichern, desto deutlicher wird
ihm beschieden, daß Tschechien genauso ein zweitrangiger osteuropäischer
Staat ist wie diejenigen, von denen es sich gerade distanzieren will.
Kein westlicher Staat denkt daran, in die Kapitalisierung Tschechiens
zu investieren, über die angestrebte Aufnahme in die NATO könne
man im nächsten Jahrtausend reden
So wird Tschechien immer
wieder von neuem darauf aufmerksam gemacht, daß sein Platz am Katzentisch
der Nationen ist und nicht an der gedeckten Tafel.
Das erschüttert die tschechischen Politiker allerdings genausowenig
wie das Auseinanderbrechen ihres vorigen Staates, das ja auch zu einem
guten Teil diesem Programm geschuldet war: Für Klaus und seine Anhänger
sind die erlittenen Abfuhren immer nur ein Beweis dafür, daß
sie ihre Westorientierung noch nicht genug demonstriert hätten
und sie daher mit vermehrter Anstrengung den bisher eingeschlagenen Weg
fortsetzen müssen.
IV. SCHLIESSLICH: WEM NÜTZT DAS GANZE?
1. Den westlichen Banken
Die Finanzierung des Ausbaus von Temelín wird
über Kredite abgewickelt. Die US-Regierung will die Vollendung des
AKW mit einem Kredit über 300 Millionen $ stützen, falls der
Auftrag dazu an Westinghouse ergeht. (Presse, 24. 2. 1993. ) (Die Firma
Westinghouse beziffert die Kosten für ihre Dienste mit 125 Millionen
$ für die Brennstäbe und 220 Millionen $ für das Kontrollsystem.
Hospodarské Noviny, 3. 3. 1993)
Der Kredit wird vermutlich, ebenso wie der für das slowakische Mohovce,
mittels Stromlieferungen zurückgezahlt. (Standard, 13. 3. 1993) Damit
stehen die ersten Nutznießer dieses Geschäftes fest: Es sind
die westlichen Banken, die den Ausbau finanzieren, und die westlichen
Stromimporteure, die den Temelín-Strom beziehen werden.
2. Den westlichen Abnehmern
Dazu kann durchaus auch Österreich gehören:
Tschechien richtet sich, wie der Bau von Stromleitungen von Temelín
nach Linz, von Slavetice nach Dürnrohr zeigt, auf Stromexport durch
(oder nach?) Österreich ein. (SN, 19. 3. 1989) Es gibt schließlich
keinen Grund, warum Österreich gerade aus der Ukraine (Atom-)Strom
beziehen sollte und aus Tschechien nicht. Wenn von dort ein günstigeres
Angebot vorliegen sollte
3. Den Erzeugern von Atomtechnologie
Ein noch wichtigerer Kandidat auf Bereicherung ist die
internationale Atomwirtschaft. Länder wie die BRD, die USA und Frankreich
haben nicht nur einen guten Teil ihrer Energiegewinnung auf Atomstrom
aufgebaut, sondern sich auch die entsprechende Industrie für die
Produktion von AKWs zugelegt. Der Markt für ihre Produkte ist aber
in den letzten Jahren erheblich geschrumpft, weil in dieser Zeit eine
gewisse Ernüchterung in Sachen Atomenergie eingetreten ist. Nicht,
wie es die Fama will, weil sie so schädlich ist, sondern weil sie
zu teuer ist. Die bei AKWs anfallenden Kosten für Endlagerung und
Wartung auch nach der Stillegung auf Jahrzehnte hinaus notwendig
machen den Atomstrom kostspielig im Vergleich mit anderen Formen
der Stromerzeugung. Die Zeiten der Erpressung durch die OPEC-Staaten
sind vorbei, der Ölpreis sinkt ständig und das Öl ist damit
wieder zu einer echten Alternative zum Atomstrom geworden. Das Ergebnis
dieser Entwicklung ist, daß die Staaten mit Atomkraftwerken keine
neuen mehr bauen (mit Ausnahme Japans, das eben ein Ausbauprogramm entwirft),
die anderen keinen Einstieg in die Atomenergie mehr ins Auge fassen. Der
Markt für die Atomindustrie ist also derzeit ziemlich beschränkt
auf die Wartung der vorhandenen Anlagen. Früher ließ sich noch
hin und wieder einem Staat der Dritten Welt ein AKW aufschwatzen
auf den Philippinen steht z.B. eine AKW-Ruine, ebenfalls von der Firma
Westinghouse erbaut, die aus Sicherheitsgründen seit Jahren abgeschaltet
ist und dort das Monster von Bataan genannt wird. Es liefert
nicht nur keinen Strom, sondern verschlingt große Summen für
die Wartung.
Inzwischen ist aber die Zahlungsunfähigkeit der meisten Staaten der
südlichen Hemisphäre zu einem echten Hindernis dieser Art von
High-Tech-Export geworden.
Hier bieten sich die friedlich eroberten Staaten Osteuropas
als neuer ausbaufähiger Markt an. Die desolaten AKWs Osteuropas schreien
quasi nach westlichen Sicherheitsstandards, andernfalls seien weitere
Tschernobyl-Katastrophen zu befürchten das ist das Bild, das
in den westlichen Medien vermittelt wird. Man muß sich angesichts
dieses Schreckensszenarios fragen, wie es die da drüben eigentlich
zusammengebracht haben, überhaupt AKWs zu entwerfen, zu bauen und
bis heute in Betrieb zu halten.
Als Berufungsinstanz für diesen Urteilsspruch gilt bis heute Tschernobyl
mit seinen detailliert ausgemalten Folgen an der Bevölkerung Weißrußlands
und der Ukraine, als Vorzeigebeispiel dient weiters gern das bulgarische
Kosloduj oder die AKWs in diversen GUS-Staaten. Daß hier die Hauptursache
nicht in der Technik selbst, sondern im wirtschaftlichen Niedergang dieser
Staaten sowie im Abbruch der früheren Wirtschaftsbeziehungen, damit
im Fehlen russischer Ersatzteile und russischen Know-Hows liegt, wird
tunlichst unter den Teppich gekehrt, um die erwünschte Schlußfolgerung
hervorzurufen: Unsere Experten gehören da hin!
(Die österreichische E-Wirtschaft betreibt natürlich, was die
Geschäftskalkulationen betrifft, Ähnliches, nur eben auf dem
nicht-atomaren Energiesektor: So plant der niederösterreichische
Energieversorger EVN die Errichtung eines Gaskraftwerkes in Südwestungarn,
baut das Gasrohrnetz in Tjumen in Südrußland aus, und möchte
Kraftwerke in Ungarn und in der Ex-CSFR kaufen. (Salzburger Nachrichten,
25. 4. 92) Die Verbundgesellschaft will am Fluß Waag (Váh)
in der Slowakei eine ganze Kraftwerkskette bauen. (Presse, 7.6. 1993)
Die ÖMV will sich an der slowakischen Raffinerie Slovnaft in Preßburg,
nebenbei bemerkt einem besonderen Umweltverschmutzer, beteiligen. Auch
im Einbau von Filtern und Verkauf von sonstigem Umweltschutz für
kalorische Kraftwerke sind österreichische Firmen groß im Geschäft.)
Die Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) plant die Einrichtung
eines Fonds für die Aufrüstung und Modernisierung der
osteuropäischen AKWs. Bis 1995 sollen umgerechnet 820 Millionen Schilling
eingezahlt werden, wobei der Löwenanteil von 4 Nationen kommen soll,
die auch an Aufträgen für ihre Atomindustrie stark interessiert
sind: Von Frankreich, Großbritannien, der BRD und Japan. (SN, 3.
3. 1993)
Westinghouse selbst macht kein Hehl daraus, daß es sich Nachfolgeaufträge
in anderen osteuropäischen Staaten erwartet. Temelín könnte
den Startschuß für diesen Ausbau der osteuropäischen AKWs
bedeuten, die Bewohner Tschechiens (und auch der benachbarten Staaten)
die Versuchskaninchen dafür, wie sich diese Ehe zweier
unterschiedlicher Atomtechnologie-Systeme anläßt.
4. In Tschechien niemandem
Die weitere Marschrichtung ist klar: Der betroffene Staat,
der sein AKW sicher machen will, nimmt bei einer westlichen
Bank einen Kredit auf, mit dessen Hilfe er die Umbauten durch eine westliche
Firma und vielleicht die Entsorgung durch eine weitere westliche Firma
bezahlt. Den Kredit bedient er mit dem Geld, das er für den Export
des Stroms, der in diesem AKW hergestellt wird, bekommt. So machen die
westlichen Banken und die westlichen Firmen ein gutes Geschäft, die
billige Stromversorgung diverser vermutlich westlicher Abnehmer (=Devisenkäufer)
ist auch gesichert. Für die Betreiber des AKWs kann nach der Befriedigung
all dieser Forderungen logischerweise nicht mehr viel übrigbleiben.
Daß diese AKWs nachher sicher im bereits besprochenen
Sinne sind, steht außer Zweifel. Der Staat, auf dessen Hoheitsgebiet
sie sich befinden, braucht ja dann die Grenzwerte nur so festsetzen, daß
sie über der Strahlenbelastung liegen, die in der Umgebung gemessen
wird. Soweit reicht seine Souveränität allemal noch. Seine Bürger
können auch zufrieden sein: Ihre Verstrahlung vollzieht sich in Übereinstimmung
mit europäischen Sicherheitsstandards.
Die versprochene schrittweise Abschaltung der Braunkohlekraftwerke Nordböhmens
ist vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich. Ist Temelín einmal
fertiggestellt und funktioniert auch im angestrebten Sinne, so muß
der Strom möglichst exportiert werden. Die damit erwirtschafteten
Devisen bedeuten Zugang zum Weltmarkt und einzig anerkannte Mittel für
den Schuldendienst, auf sie kann daher nicht verzichtet werden. Sodaß
der Inlandsbedarf wahrscheinlich so weit als möglich mit den herkömmlichen,
noch nicht ans Ausland verpfändeten Ressourcen, eben der Kohle, bestritten
werden wird
(FORVM österreichische
2-monatlich erscheinde Zeitschrift, 1995 eingestellt. Der Artikel erschien
im November 1993)
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