ZUR DEBATTE ÜBER DIE ERMORDUNG DER ZARENFAMILIE Zar Jurowski Jekaterinburg Kirche über den Blut Ermordung Russisch-orthodoxe Kirche Katakombenkirche Sergius I. Die Vorgeschichte Da es die Angelegenheit inzwischen bis nach Hollywood geschafft hat, sollte man die Figur des letzten Zaren ins rechte Licht rücken. Er war nämlich ein ziemliches Würschtl, der weder den Haß verdient hat, der ihm zu seinen Lebzeiten entgegengeschlagen ist, noch die Verehrung, die ihm nach seinem Tod zuteil wurde. Er war eine unbedeutende Persönlichkeit, die auf einen historischen Feuerstuhl geraten war, auf dem sie verbrennen mußte. Nikolaus II. war der Enkel von Alexander II., dem großen Reformer und „Befreier“, der von den Narodowolzen 1881 bei einem Attentat getötet wurde. Der Schriftsteller Edvard Radzinski beschreibt in seiner Rasputin-Biographie den Zarenhof als ein Zentrum des Aberglaubens und Obskurantismus, wo sich an Geister aller Art glaubende montenegrinische Prinzessinnen, Wahrsagerinnen, Abenteurer, Höflinge und Schmeichler die Klinke in die Hand gaben, und wo zwischen Bigotterie und Tischrücken eine Figur wie Rasputin noch vergleichsweise rational erscheint. Man fragt sich angesichts dessen, wie Rußland als Staatswesen es überhaupt bis zur Oktoberrevolution geschafft hat. Das überforderte Nikolaus II. aber, auch angesichts des Weltkrieges, in dem sich Rußland damals bereits befand. In mancherlei Hinsicht hatte Nikolaus II. einfach auch Pech. Zu seiner Thronbesteigung 1896 wollte er Gutes tun und eine Art öffentliche Ausspeisung veranstalten, damit auch seine Untertanen etwas von dem Regierungswechsel verspürten. Die Organisation dieser Angelegenheit wurde seinem Onkel Sergej anvertraut, vermutlich – wie für ihn üblich – nicht einmal von Nikolaus selbst. Dann kam der Blutsonntag von Petersburg, wo sicher auch nicht er selbst den Schießbefehl gegeben hatte. Die Revolution von 1905 und der verlorengegangene Russisch-Japanische Krieg taten ein Übriges. Auch die spätere Geschichtsschreibung machte ihn in einer Art negativem Personenkult lange in genau dieser Art für alles verantwortlich, was sich im Zarenreich ereignet hatte. Man gab ihm die Schuld für die Entstehung der Sowjetunion und lange herrschte auch die Auffassung, daß er sehenden Auges in sein Verderben gelaufen sei und eigentlich sein Schicksal verdient hätte. Die Zarenfamilie 1913
II. Abdankung, Verhaftung und Tod 1. Zwischen der Abdankung und Tobolsk Die Februarrevolution fegte ihn vom Thron, aber nicht aus seiner Residenz. Dort war er zwar unter Hausarrest, was sich nicht wesentlich von seinem Vorkriegsleben unterschied, und gab sich mit seiner Familie dem süßen Nichtstun hin. Ein abgesetzter, noch dazu abgedankter Monarch ist nämlich ein Paradox für andere Monarchien. Was ist mit dem Gottesgnadentum des Königs? Seiner Legitimation? Man könnte anfangen nachzufragen, welche Legitimation der eigene König, die eigene Regierung eigentlich haben? Aus dem britischen Königshaus kam nach der Wende einiges an Geld, um die sterblichen Überreste der Zarenfamilie aufzufinden und angemessen zu bestatten. Der Eindruck entsteht, man hätte dort ein etwas schlechtes Gewissen. Schließlich wurden die Ex-Zars im August 1917 im Auftrag der Provisorischen Regierung nach Tobolsk in Sibirien transportiert. Wie weit das mit der Zarenfamilie abgesprochen war, darüber gehen die Meinungen auseinander. Mindestens genauso wie linke Missetäter, die sich an den Zaren vergreifen könnten, fürchteten Kerenski & Co. nämlich die Deutsche Armee, gegen die gerade im Juli eine Offensive gescheitert war. Die Gefahr einer deutschen Besatzung Petrograds, die dann eine neue zaristische Regierung von deutschen Gnaden einsetzen und die Provisorische Regierung zum Teufel jagen würde, stand im Raum. In Tobolsk wohnten die Zars zwar nicht mehr besonders luxuriös, aber man richtete sich ein.
Das Ipatiev-Haus xxxxxx 2. Finale Die Bolschewiki erbten nach der Oktoberrevolution das Problem „Wohin mit dem Ex-Zaren + Anhang?“ Langsam verwandelten sich diese Menschen in eine Art Sondermüll, den man loswerden mußte. Warum sie dann im April und Mai 1918 von Tobolsk nach Jekaterinburg kamen, ist ebenfalls umstritten. Sicher ist nur so viel, daß man sie ursprünglich nicht nach Jekaterinburg, sondern über den Ural bringen wollte, ins europäische Rußland. Nach Moskau oder anderswohin? Zwecks Prozesses, Inhaftierung oder Auslieferung an Deutschland? Man muß sich auch die Situation vor Augen halten, die im Frühjahr und Frühsommer 1918 in Rußland herrschte. Der Hunger der damaligen Großmächte, die immer gierig auf die Weiten Rußlands geschaut hatten, rührte sich und sie sahen die Gelegenheit gekommen, sich hier ein ordentliches Stück abzubeißen. Niemand, weder die Bolschewiki und ihre Anhänger noch sonst jemand wußte, wie die Sache weitergehen wurde. In dieser Situation war die Zarenfamilie nur noch lästig. Und man vergesse nicht, das Prinzip, sich durch Liquidation lästige Leute vom Hals zu schaffen („Ist der Mensch weg, so ist das Problem weg“, Leitspruch der Tscheka) beginnt und endet in der Sowjetunion nicht bei der Zarenfamilie. xxxxxx 3. Die Erschießung und Bestattung Der Vormarsch der Truppen Koltschaks besiegelte schließlich das Schicksal der Zarenfamilie: Sie mußten weg, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen und für eine Restauration verwendet zu werden. Die Ermordung der Mitglieder der Zarenfamilie wurde vermutlich nicht von den Personen entschieden, die sie durchführten. In Anbetracht der ungewöhnlichen Situation und der unklaren Folgen dieser Handlung wurden jedoch die Weisungen, die sie erhielten, nicht schriftlich niedergelegt, sodaß sich die Befehlskette nicht dokumentieren läßt. Verschiedene Mitglieder des Erschießungskommandos unter der Leitung von Jakov Jurowski hinterließen, ebenso wie er selbst, Gedächtnisprotokolle. Denen ist zu entnehmen, daß die Teilnahme freiwillig war. Wer keine Frauen und Unbewaffneten erschießen wollte, wurde davon befreit. Ihre Aufgabe war, die Zarenfamilie so zu beseitigen, daß ihre Überreste nicht auffindbar wären, sobald die Weißgardisten die Stadt einnehmen und nach ihnen forschen würden. Dieser Aufgabe stellten sie sich und vollendeten sie. Die Erschießung und der Abtransport fanden nachts statt, um keinen Verdacht zu erregen. Sie führen die Toten zu stillgelegten Bergwerksschächten außerhalb der Stadt. Als der LKW im Schlamm steckenblieb, wurden die Leichen auf Karren weitertransportiert. Sie wurden entkleidet, teilweise zerhackt, mit Säure übergossen, die Kleidung verbrannt. Die Aktion war insofern erfolgreich, als es dem weißgardistischen Offizier Sokolow während der Besetzung Jekaterinburgs durch die Koltschak-Armee nicht gelang, die sterblichen Überreste zu finden. Um diesen Mißerfolg schönzureden, behauptete er in seinen Memoiren, sie seien von den Mördern vollständig vernichtet worden. Diese Behauptung hat sich inzwischen unter Monarchisten zu einer festen Überzeugung etabliert. Eine Gedenkstätte im Wald nordwestlich von Jekaterinburg (bei Koptjaki), wo die Zarenfamilie weder vergraben war, noch ihre letzte Ruhestätte gefunden hat. (Sie wurden 1998 in der „Zarengruft“ in der Peter-Pauls-Festung
III. Die Nachwelt Die Debatte, von wem die Erschießung der Zarenfamilie beschlossen und von wem sie nur durchgeführt wurde, ist rein scholastischer Natur, d.h., wichtige Fragen werden von ihr nicht berührt. Sie läßt die die äußeren Umstände völlig außer Acht und möchte der sowjetischen Führung – und deren vermeintlichen Handlangern – Schuld zuschreiben, mit der relativ durchsichtigen Absicht, alle anderen Faktoren wegzuretuschieren. Letztlich soll dabei nachgewiesen werden, daß die Sowjetmacht ein „Unrechtsregime“ war, was man unter anderem an der Beseitigung der „rechtmäßigen“ Regierenden erkennt. 1. Die Untersuchungen und die Exhumierung Zunächst nahmen die Truppen Koltschaks Jekaterinburg einige Tage nach der Erschießung der Zarenfamilie am 25. Juli 1918 ein und versuchten, ihre sterblichen Überreste aufzufinden. Vorher waren aber Souvenirjäger im Ipatjew-Haus aus- und eingegangen und hatten alles mögliche mitgehen lassen. Die Spurensicherung war also nicht gut. Die damalige Suche nach dem Verbleib der Zarenfamilie wurde zusätzlich durch eine eigenartige Figur des weißen Militärgeheimdienstes vernebelt, der die Version in die Welt setzte, nur der Zar selbst oder am Ende gar niemand sei ermordet worden. 1928 wurde Vladimir Majakowski nach Jekaterinburg, damals bereits Swerdlowsk, geschickt, um darüber zu berichten, „wo das Volk einen Punkt hinter die Monarchie gesetzt“ habe. Er schrieb das Gedicht „Imperator“, wo er eine Straße und eine Zirbe als Ort der Bestattung angibt. Das Ipatjew-Haus wurde 1977 abgerissen. Es hatte sich zu einer für die sowjetischen Behörden unangenehmen Erinnerungsstätte verwandelt, an der stets zum Todestag der Zarenfamilie Blumen in nicht geringer Menge niedergelegt wurden. Zwischen 1976 und 1979 suchten und fanden ein Regisseur, ein Archäologe aus Swerdlowsk und deren Mitarbeiter auf eigene Initiative aufgrund von Sokolows und Majakowskis Angaben das Grab, einen Schacht in einem Wald bei Swerdlowsk. Aufgrund der Angaben dieser privaten Nachforschungen wurden die sterblichen Überreste der Zarenfamilie im Sommer 1991, noch vor der Auflösung der SU, exhumiert. Die Knochen zweier der Kinder der Zarenfamilie wurden erst 2007 in einiger Entfernung gefunden. Um die sterblichen Überreste der Zarenfamilie gibt es eine ziemliche Verwirrung, weshalb die Russisch-Orthodoxe Kirche bis heute diese nicht als authentische anerkennt.
2. Die Russisch-Orthodoxe Kirche Nach der Oktoberrevolution spaltete sich der russisch-orthodoxe Klerus in mehrere Fraktionen. Die einen kollaborierten mit den Bolschewiken, unter der spirituellen Leitung des Patriarchen Sergius. Es ging hier bei allem religiösem Eifer um einiges an Geld, weil die russischen Emigranten wollten betreut sein, und nicht alle waren arm. Andere orthodoxe Kirchen boten Asyl und Schützenhilfe. In New York, in Finnland, in Kanada, in Serbien, in Österreich organisierten sich russisch-orthodoxe Grüppchen, die sich im 2. Weltkrieg weiter auseinanderdividierten an der Frage, wen man denn gegen den sowjetischen Antichristen unterstützen solle. Nach 1991 begannen Wiedervereinigungsversuche. Es ist bis heute undurchschaubar, wer jetzt welchem Zweig der russisch-orthodoxen Kirche angehört, und mit welchen Extrawürschten. Dazu kommen die Streitereien der neueren Zeit mit Kiew. Auch hier geht es wieder um Geld. Die Auslandskirche hat viel Vermögen darüber angesammelt, daß reiche Emigranten ihr Vermögen hinterließen, um dann sicher in den Himmel zu kommen. In Rußland selbst wurde viel Kirchenvermögen restitutiert, und seit Jelzin wird die orthodoxe Kirche vom Staat, aber auch von Teilen der neuen Unternehmerklasse finanziell unterstützt. Diese Debatten und Rivalitäten mündeten im Jahr 1998 in einen Eiertanz um die Echtheit der Gebeine und die Bestattung derselben in der Zarengruft, und 2000 in die Heiligsprechung des Zaren durch die russisch-orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat). Sie hinkte damit eigentlich nur hinterher, weil die russisch-orthodoxe Auslandskirche (New Yorker Patriarchat) diesen Schritt bereits 1981 vollzogen hatte. Mit der Heiligsprechung erklären die Oberhirten nämlich sich als zuständig und legitimieren ihre eigene Stellung. Während also verschiedene Fraktionen der russischen Orthodoxie darüber wetteifern, Nikolaus zum Märtyrer des Glaubens zu erklären – inhaltlich ein Unfug, weil er wurde ja umgebracht, weil er Zar war und nicht wegen seines Glaubens – hat auch die Geschichtsschreibung im In- und Ausland nachgezogen und verklärt die Person des letzten Zaren zu einem gütigen Landesvater, der nur aufgrund unglücklicher Umstände an all den Wohltaten gehindert worden ist, die er eigentlich vorgehabt hätte. Eine der vielen Ikonen, die seit der Heiligsprechung
verfaßt im Dezember 2019 |