DIE ALBANISCHE ANARCHIE: EINE FUSSNOTE DER WELTPOLITIK
I. ALBANIENS ÜBERGANG ZUR MARKTWIRTSCHAFT
I.1. Das Ende des Dritten Weges: Ein Land
ohne Freunde Albanien galt lange Zeit als ein Modell-Land, sein Sozialismus
zumindest als ein Experiment, das sich von dem Sozialismus
der Warschauer Pakt-Staaten unterschied. Viele Freunde hat dieser Sonderweg
Albanien nie eingebracht: Für die imperialistischen Mächte,
mit anderem Namen: den Freien Westen war es strategisch und
größenmäßig zu unbedeutend, um sich der Wertschätzung
zu erfreuen, die Jugoslawien, China und eine Zeitlang auch Rumänien
entgegengebracht wurde. Und großartig war es ja auch nicht, was die Partei der Arbeit Albaniens
ihrem Volk über 40 Jahre lang geboten hat: Die Möglichkeit,
im eigenen Land in relativer Ruhe zu leben, sich zu ernähren und
zu kleiden und ihre Kinder in die Schule zu schicken. Leider keine Selbverständlichkeiten,
sondern in Albanien tatsächlich Errungenschaften. Andersartenden Gerüchten zufolge war der albanische Sonderweg keine
archaische oder spinnöse Erfindung Enver Hodschas und seiner Getreuen,
sondern eine Reaktion auf die Behandlung, die dieser Staat seit
seiner Gründung erfahren hatte. Auch im Verkehr mit den sozialistischen
Staaten mußten die albanischen Kommunisten einige herbe Enttäuschungen
einstecken, die ihre nationalen Ambitionen, sogar den Bestand ihres Staates
überhaupt, in Frage stellten. Immer wieder meinten ihre mächtigen
Verbündeten, auf die wie immer gearteten Bedürfnisse eines solchen
Mini-Landes keine Rücksicht nehmen zu müssen. Die albanische
Führung hielt am Ideal der Völkerfreundschaft und Gleichberechtigung
fest und verabschiedete sich aus ihren Bündnissen. Soviel nur zur Isolation Albaniens. Dieses Beharren auf Souveränität nach außen ist nicht
zufällig ein reines Ideal: Die imperialistischen Mächte, seit
45 unter Führung der USA, beanspruchen seit jeher die Verfügung
über den Erdball, sie betrachten den Rest der Welt als potentielle
Rohstoffquelle, Absatzmarkt, verlängerte Werkbank ihrer eigenen kapitalistischen
Ökonomien. Die Souveränität der subalternen Staaten ist
in diesem Weltbild nur als Garant der Botmäßigkeit eingeplant,
deren Regierungen sollen den auswärtigen Zugriff von außen
auf ihr Land und ihre Leute garantieren. Die Existenz der Sowjetunion
und ihrer Verbündeten stellte daher jahrzehntelang ein Ärgernis
erster Güteklasse dar: Diese Staatenwelt verschloß sich
dem universalen Anspruch des internationalen Kapitals und seiner mächtigen
Paten. Dieser unhaltbare Zustand ist nun gottlob vorbei und nun gibt es
nur mehr die harte Realität der One World, in der nur
zwei Dinge gelten: Geschäft und Gewalt. Der albanische Sonderweg endete mit dem Ende des Systemgegensatzes: Ausgerechnet das Abdanken der Sowjetunion, die von der albanischen Führung immer der Weltherrschaftsambitionen bezichtigt worden war, besiegelte auch das Schicksal Albaniens: Dessen Sonderweg beruhte nämlich auf der Existenz eines antiimperialistischen Staatenbundes; mit dem Ende des zweiten Weges endeten auch alle dritten. Die albanische kommunistische Führung reagierte
auf die weltpolitischen Veränderungen als allererstes mit einer rein
innenpolitischen Maßnahme, mit der Verkündigung der Religionsfreiheit.
In Erwartung schwerer Zeiten dachte sie, die Gewährung des bewährten
Opiums koste nichts und würde es der Bevölkerung leichter machen,
leere Speisekammern zu ertragen. An der angespannten Lage änderte
diese Maßnahme nicht viel: Die Devisen-Exporte Albaniens, vor allem
Rohstoffe und Strom, gingen zurück, der Barter-Handel mit den ehemaligen
RGW-Staaten bewegte sich gegen Null, die Importe konnten nicht mehr bezahlt
werden, Versorgungsmängel traten auf. Sowohl Regierung als auch Volk waren also 1991 überzeugt: Die einzige
Chance für Albanien liegt im Freien Westen! Der einzige Rufer in der Wüste, Ehre, wem Ehre gebührt , war 1991 der Thronprätendent Leka, der sich sinngemäß ungefähr so äußerte: Der Westen hätte sich bisher um Albanien auch nicht gekümmert, warum sollte sich dies auf einmal ändern? (1)
I.2. Die Einführung des Privateigentums in Albanien Als der inzwischen in der politischen Versenkung verschwundene Gründer
der Demokratischen Partei und deren erster Wirtschaftsexperte,
der auch die Aufnahme Albaniens in IWF und Weltbank verhandelt hatte,
Gramoz Pashko, im Dezember 1991 verkündete: In eineinhalb Jahren
werden in Albanien bereits die Weichen für die Marktwirtschaft gestellt
sein,
die völlige Umstellung der Wirtschaft wird mindestens
3 bis 5 Jahre dauern(2) so wurde dies als vielleicht
etwas optimistische, aber auf jeden Fall Verheißung zum Besseren,
verstanden. Eine irrige Ansicht: Es war eigentlich, nicht der Absicht,
aber dem Inhalt nach eine Drohung, und sie wurde wahrgemacht: Von
der alten Art des Wirtschaftens ist nichts mehr übrig in Albanien.
Ein weiteres Nebenprodukt dieser Landreform war eine beachtliche Landflucht:
Die Bevölkerung Tiranas hat sich seit 1990 fast verdoppelt
das bedeutet ein Anwachsen von Slumsiedlungen in einer Relation, vor der
Sao Paulo oder Mexico City alt ausschauen. Über den Stand der Produktion gab es in den letzten Jahren sehr widersprüchliche
Meldungen, die sich aus der Erfolgspropaganda der Regierung zusammen mit
den flüchtigen Impressionen ausländischer Journalisten ergaben,
beides gepaart mit gründlicher Unkenntnis der wahren Situation. So
wurde in ein und demselben Artikel der damalige Wirtschaftsminister Ruli
mit der Aussage zitiert, der Rückgang der Industrieproduktion sei
gestoppt und ein paar Zeilen später festgestellt, daß es eigentlich
gar keine Industrieproduktion im Lande gebe.(4) Die Arbeitslosigkeit wurde wechselweise mit 30, 50 oder 80%
angegeben, ähnliche Unstimmigkeit herrschte über die Höhe
des Exports und Imports. Die einzige Einigkeit in allen Berichten bestand
in dem Eingeständnis, daß die landwirtschaftliche Produktion
den Inlandsbedarf nicht decke und daß die einzige Grundlage der
albanischen Wirtschaft, genauer gesagt: des Geldumlaufs in Albanien,
die Überweisungen der im Ausland arbeitenden Albaner im Juni
1996 auf 400.000 geschätzt waren. Im volkswirtschaftlichen
Jargon ausgedrückt: Ohne den freien Grenzverkehr hinüber
in die griechische Provinzstadt Ioannina ist Südalbanien nicht entwicklungsfähig.(5) Einen guten Teil der Importe wiederum machten die ausländischen Hilfslieferungen
aus, die dann teilweise über dunkle Kanäle in den Handel gelangten
und für gute $ auf den diversen Märkten erworben werden konnten. All dies brachte Albanien Lob von den internationalen Wirtschaftsexperten
ein: Laut der Weltbank erreichte das Wirtschaftswachstum 1993 11%,
das ist die höchste Wachstumsrate unter den Oststaaten
IWF-Chef
Camdessus zeigte sich bei seinem Besuch in Albanien mit der Performance
zufrieden. (6)
I.3. Die Parteienkonkurrenz Die Demokratische Partei Albaniens, die bei den Wahlen im Frühjahr
1992 unter tumultartigen Verhältnissen und dem fast völligen
Zusammbruch der Wirtschaft an die Macht kam, bekennt sich eindeutig: Die
DP ist die erste antikommunistische Partei, die in Albanien nach 50 Jahren
Diktatur gegründet wurde. (12) Es wäre daher falsch, dieser Partei wegen ihrer nicht zimperlichen
Methoden mangelndes Demokratieverständnis vorzuwerfen. So lautet
eben ihr Demokratieverständnis: Demokratie ist Antikommunismus. In Albanien selbst hat die DP ihre Methoden den Verhältnissen angepaßt.
Zunächst bediente sich Sali Berisha für die Beseitigung politischer
Gegner der ihm sehr willfährigen Justiz. (Das kommunistische Albanien
besaß kein Justizministerium und keine der unsrigen vergleichbare
Rechtspflege. Der Aufbau eines Justizwesens wurde erst nach der Wende
in Angriff genommen, die frisch ernannten Richter fühlen sich ihrem
Brotgeber sichtlich sehr verpflichtet.) Wahlen sind in Ländern desjenigen Status, zu dem sich Albanien inzwischen
hingearbeitet hat, nicht normale Konkurrenzveranstaltungen um die Staatsmacht,
deren Zwecke unabhängig von den jeweiligen Parteien mehr oder weniger
feststehen so wie das in den Heimatländern des Kapitals und
der Demokratie üblich ist. In Staaten wie Albanien müssen die
politischen Chefs periodisch bei Wahlen beweisen, daß sie ihr Land
und ihre Leute unter Kontrolle haben und daß sie weiterhin
als Ansprechpartner brauchbar sind. Erst wenn ihre Gönner im Ausland
bestätigt haben, daß sie die Wahlen mehr oder weniger
den demokratischen Spielregeln gemäß gewonnen
haben, werden sie als vertrauenswürdig, eingestuft, ihr
Land als stabil, und sie können wieder auf Kredite, Militärhilfe
und anderes hoffen. Die Demokratische Partei war entschlossen, diesen Vertrauensbeweis zu
liefern. Mit Ausschluß diverser Oppositionspolitiker und dem rücksichtslosen
Einsatz von Polizei und Geheimpolizei verunmöglichte sie den Wahlkampf
der Opposition, verhaftete am Vorabend des Wahltages die wichtigsten Oppositionspolitiker,
bedrohte Wähler und Wahlhelfer und fälschte das Wahlergebnis
nach Kräften. So feierte die DP einen Erdrutschsieg und
erlangte 122 der 140 Parlamentssitze.
I.4. Das außenpolitische Programm der albanischen
Demokraten: Anschluß an die NATO Die DP hat es sich zum Anliegen gemacht, sich auch auf außenpolitischem
Gebiet von der zurückhaltenden Politik der früheren Führung
Albaniens zu veranschieden und eine aktive Außenpolitik
zu treiben. Den Versuchen, sich mit Berufung auf die außerhalb der
Grenzen lebenden albanischen Minderheiten in die Belange Restjugoslawiens
und Mazedoniens einzumischen, sind jedoch am Willen der weltpolitisch
tonangebenden Mächte Grenzen gesetzt: In Mazedonien wacht ein sehr
US-lastiges UNO-Kontingent über die territoriale Integrität
des Landes, und auch die Destabilisierung Restjugoslawiens steht heute
weniger denn je auf dem Programm der NATO und der EU. In dem in den Jahren
1994 und 95 vom Zaun gebrochenen Streit mit Griechenland mußte Albanien
klein beigeben, da die in Griechenland jobbenden Albaner, wie bereits
erwähnt, das wirtschaftliche Rückgrat Albaniens ausmachen und
die massiven Ausweisungen von Albanern durch die griechische Regierung
sich als wirkungsvolles Druckmittel erwiesen. Inzwischen ist diese Front
weitgehend aufgelöst und die albanische Regierung hat Griechenland
als Verbündeten und Pforte für einen Beitritt in die NATO entdeckt.
I.5. Die Pyramidenspiele: Keine Besonderheit Albaniens Nachher hat es jeder gewußt: Das konnte ja nicht gutgehen! Angeblich gab es schon seit dem Vorjahr Warnungen an die Regierung, etwas gegen die Sparpyramiden zu unternehmen. Komisch, offiziell hatte das 1996 ganz anders geklungen: Albaniens Wirtschaft ist die am schnellsten wachsende in ganz Europa die Wirtschaft ist im Vorjahr um 11% gewachsen, die jährliche Inflation betrug nur 6%.(14) Selten tritt so offenkundig zutage, wie sehr solche Wachstumszahlen
in postkommunistischen Ländern nur die Bereicherung irgendwelcher
Subjekte messen und in keinem wie immer gearteten Verhältnis zur
tatsächlichen Produktion eines Landes stehen. Für die angebliche
Naivität, derer die Albaner jetzt geziehen werden, ist
ihnen im Vorjahr von allen möglichen Experten auf die
Schulter geklopft worden. Die Sparpyramiden sind dabei keineswegs eine Besonderheit Albaniens. In
anderen Ländern heißen solche Sparvereine Banken,
das Verfahren, das Geld der Bürger zu attrahieren, heißt in
vielen osteuropäischen Ländern Kuponprivatisierung
oder Anteilsscheine. Gemeinsamen ist allen diesen Vereinen,
daß sie das Geld der Einleger einsammeln und dadurch
in einer Hand konzentrieren. Durch Verleihen an Unternehmer, die es gewinnbringend
investieren, verwandeln sich dadurch die unproduktiven Spargroschen der
kleinen Leute in Kapital. So funktioniert zumindest eine
Bank in unseren Breiten in den Heimatländern des Kapitals.
In Osteuropa hat dieses System den Haken, daß es eine gewinnbringende
Produktion nicht oder fast nicht gibt. Wenn Banken daher Geld verleihen,
so schlägt sich dieser Kredit nur zu oft später als fauler,
d.h. uneinbringlicher Kredit zu Buche. Die Schuldner, ungarische Bauern
oder tschechische Kombinate, können den Kredit nicht zurückzahlen,
sie können oft nicht einmal die Zinsen bedienen. Dann gibt es entweder
einen Bankenkrach, oder die betroffene(n) Bank(en) werden über Finanzspritzen
durch die Regierung gestützt mit stiller Duldung des IWF,
der weiß, daß mit der Fiktion eines nationalen Kreditwesens
auch das ganze Potemkinsche Dorf des Übergangs zur Marktwirtschaft
in sich zusammenfallen würde. Der Kreditsektor postkommunistischer
Staaten hängt in der Luft, er stützt sich nicht auf eine
mehr oder weniger profitable Produktion, sondern auf in- und auswärtige
Garantien, Standby-Kredite, Konsolidierungsanleihen, und ausländische
Investoren, die wiederum auf diese Garantien spekulieren. Gleichzeitig
ist er aber auch der wichtigste Sektor der Bereicherung: der Sumpf,
in dem die neue Unternehmerklasse entsteht. Im Schaffen von privaten oder
halbstaatlichen Wertpapieren, im Handel mit solchen oder mit Staatsanleihen
werden Vermögen geschaffen, die zum Ärger der Regierungen dann
aus den oben geschilderten Gründen meist nicht im Land
investiert, sondern auf ausländische Konten verschoben werden. So
entstehen die Neuen Menschen, die ost- und südosteuropäischen
Neureichen. So war es auch in Albanien. Die teilweise bestätigten Vorwürfe
der Opposition, die Regierung hätte die Pyramiden-Betreiber gedeckt,
und diese hätten dafür den Wahlkampf der DP finanziert, lassen
sich daraus leicht erklären: Die Pyramiden-Betreiber waren
eben die albanischen Unternehmer, die Regierung wollte eine Klasse
von Kapitalisten schaffen, natürlich mußte sie deren Geschäfte
decken. Was hätte sie denn anderes tun sollen, die vom IWF so belobigte
Demokratische Partei! So sieht nämlich die Einrichtung des Privateigentums
in einem Land aus, in dem vorher alles dem Staat gehörte: Ein paar
Leute werden reich, der Rest verelendet. Probleme gibts erst dann, wenn
diese sich das nicht gefallen lassen, wie in Albanien.
II. UNRUHE IM NEUEN HINTERHOF: Der Aufstand und seine Folgen
Als der Volkszorn über die großflächige
Enteignungsaktion, die der Zusammenbruch der Pyramidengesellschaften bedeutete,
immer mehr eskalierte, wendeten die Demokraten zunächst die weltweit
bewährten Mittel für solche Situationen an: Versprechungen auf
etwaige und teilweise Entschädigung der Geprellten wechselten sich
mit Drohungen ab. Berisha tat die Rebellion als Verschwörung dunkler
Kräfte ab, und bezichtigte die Sozialistische Partei und die albanischen
Zeitungen des Schürens der Unzufriedenheit. Auf Drohungen des Auslandes,
ihm die Unterstützung zu entziehen, erließ er eine Amnestie
und bildete eine Koalitionsregierung mit den Sozialisten. Als Vorkämpfer des Aufstandes präsentierte sich die Stadt Vlora,
die von den internationalen Medien 1991 und 1992 als weltoffenste
Stadt Albaniens gefeiert worden war, weil sie sich damals als Bastion
der Demokratischen Partei präsentiert hatte. Die von der DP gestellte
Stadtverwaltung Vloras lehnte am 11.2. die Verhängung des Ausnahmezustandes
über Vlora ab, einige Tage später forderte der Bürgermeister
von Vlora den Rücktritt der Regierung Berisha. (15) Versuche, als loyal eingeschätzte Polizeitruppen und Freiwillige
aus Nordalbanien gegen die Aufständischen von Vlora einzusetzen, (16) endeten mit deren raschem Frontwechsel auf die Seite
der Aufständischen. Schließlich erwies sich, daß die
Polizei, die sich während des Wahlkampfes von 1996 sehr um die Sache
der DP bemüht hatte, und das Militär, von dem der Verteidigungsminister
im Jänner versprochen hatte, es würde nie gegen das Volk
eingesetzt werden, sich tatsächlich weigerten, gegen die Bevölkerung
vorzugehen: Die Verhängung des Ausnahmezustandes am 2.3. und die
darauf folgende Volksbewaffnung im ganzen Land beendete endgültig
jede staatliche Autorität in Albanien, und führte der Weltöffentlichkeit
vor Augen, daß die Regierung Sali Berishas in Albanien selbst keinerlei
Unterstützung mehr hatte. Seitdem hat es in der ausländischen Presse einige Versuche gegeben,
der Leserschaft den unerhörten Umstand zu erklären, daß
die Bevölkerung eines Landes sich relativ geschlossen gegen die Regierung
wendet und die Armee sich auf die Seite der Aufständischen stellt.
Von den Besonderheiten Albaniens war da die Rede, von Räuber-Traditionen
und Stammes-Gegensätzen. Die Linguistik und die Historie wurden bemüht.
Im österreichischen Fernsehen wurde sogar die rhetorische Frage gewälzt,
ob es nicht ein Fehler Groß-Österreichs gewesen sei, diesen
Staat 1913 zur Schwächung Serbiens zu gründen.
Besonders beliebt wurde die Strapazierung eines angeblichen Gegensatzes
zwischen Norden und Süden Albaniens. Der
Süden sei irgendwie stärker dem Kommunismus verfallen gewesen,
hieß, das sei nun wieder hervorgebrochen. Im Norden sollen sie irgendwie
altmodischer sein. Und übrigens: Sie reden ganz verschieden! Die Gründe für das Desinteresse an einer Wiederherstellung der
staatlichen Autorität sind in Norden und Süden gleich: Eine
Ökonomie, die auf Subsistenz, Schmuggel und anderen illegalen Geschäften
beruht, bedarf keiner Staatsmacht. Alle bisher gehegten Hoffnungen
der Bevölkerung, daß sich in Albanien andere Formen des Erwerbes
entwickeln könnten, sind durch die Ereignisse um die Pyramidenfirmen
endgültig praktisch dementiert worden. Die einzige Alternative zur selbstverwalteten Raub- und Schmuggelwirtschaft hauptsächlich
für die Kassen der italienischen Mafia besteht in der Flucht, zu der die Albaner immer wieder verzweifelte Versuche unternehmen, auch
angesichts des Risikos, ihr Leben vorzeitig im adriatischen Meer zu beschließen.
III. DIE KÖNIGSMACHER AUS DER EU
III.1. Alte und neue Marionetten-Könige Viel Einfluß ist der albanischen Regierung also nicht geblieben:
Territorial kontrolliert sie mit Hilfe der internationalen
Truppen ungefähr Tirana, Durres und die Gegend zwischen diesen beiden
Städten. Kontrollieren heißt: Dort werden Regierungsvertreter
nicht beschossen, wenn sie zwecks Wahlwerbung vorbeischauen. In Tirana
und Durres gilt die Ausgangssperre und die Pressezensur, die mit dem Ausnahmezustand
verhängt wurden, die Parteienkonkurrenz spielt sich auch weitgehend
in diesen beiden Städten ab, und das wird die Einflußzone sein,
über die der zukünftige Wahlsieger gebietet. Den Einsatz ausländischer Truppen haben der neuernannte Premierminister
Fino am 13. März, einen Tag später Berisha selbst gefordert.
Nach einigen Bedenken hat auch der Führer der Sozialisten, Fatos
Nano, einen Monat später versichert, eine ausländische Intervention
hätte seine vollste Unterstützung.(20) So eine Aufforderung ist eigentlich für jeden Politiker, ob
Regierung oder Opposition, ein Offenbarungseid: Er gesteht damit ein,
daß er nicht imstande ist, seine Souveränität über
das von ihm regierte Land selbst herzustellen und zu bewahren und daß sein Amt daher jeder Grundlage entbehrt. Die albanischen Politiker
gehen bei diesem Ruf nach ausländischer Militärhilfe von der
realistischen Einschätzung aus, daß sie über keine Mittel
mehr verfügen, die Oberhoheit über ihr Territorium selbst herzustellen.
Angesichts solcher Zustände ist es begreiflich, daß der Nachkomme
des Königs sich auch wieder Chancen auf den albanischen Thron ausrechnet.
Die schmeichelhafte Beschreibung der Herrschaft seines Vaters entbehrt
nicht gewisser Parallelen mit den heutigen Perspektiven Albaniens: Die
inneren Stützen dieses Regimes bildeten die einheimischen reaktionären
Klassen: das kaufmännische Großbürgertum
Stammeshäuptlinge
Da sich die an der Macht befindliche Zogu-Clique nicht sicher fühlte,
suchte sie bei den imperialistischen Staaten Hilfe
Zogus Politik
öffnete den ausländischen kapitalistischen Mächten Tür
und Tor
, usw.(21)
III.2. Die europäischen Ordnungs-Hersteller Als die Freie Welt nach dem Ende des Ostblocks immer lauter
die Öffnung Albaniens forderte, so war das nicht deswegen,
weil es in Albanien besonders wichtige Dinge gegeben hätte, an die
irgendein deutscher oder US-Konzern unbedingt herankommen wollte. Die
Zeiten, als albanisches Erdöl und andere Rohstoffe einen Anziehungspunkt
für ausländisches Kapital bedeuteten bzw. für europäische
Staaten kriegswichtig waren, sind lange vorbei. Es war eben nur der Anspruch,
daß keine Regierung der Welt sich dem Eindringen des internationalen
Kapitals und den von den imperialistischen Staaten gesetzten Bedingungen
verschließen dürfe.
IV. EIN VERGLEICH: DAS KLEINE ALBANIEN UND DAS GROSSE RUSSLAND Anläßlich des albanischen Aufstandes werden
viele osteuropäische Politiker von leichten Beklemmungen befallen
worden sein. In allen postkommunistischen Staaten wird es dezente Überprüfungen
der Sicherheit der Waffendepots und der Stimmung in der Armee gegeben
haben. Die Izvestija ergänzte ihre Berichterstattung über
Albanien am 4. März 1997 mit einer Kolumne mit dem Titel: Ist auch
in Rußland die albanische Variante möglich? Mit leichter
Ironie über die selbstverständlich auf der Hand liegende Unvergleichlichkeit
der psychischen Einstellung der Bevölkerung Albaniens und derjenigen
Rußlands erinnert der Schreiber daran, daß letztere genug Gründe hätte, ihre Regierung nach albanischem Vorbild
zum Teufel zu jagen: Die betrügerische Finanzpyramide Sergej Mavrodis,
die einige Millionen Russen um ihre Ersparnisse gebracht hat; das Einfrieren
der in den Sparkassen deponierten Sparguthaben durch die russische Regierung
selbst; das in Rußland inzwischen übliche monate-, manchmal
sogar jahrelange Nicht-Zahlen der Gehälter und Pensionen; schließlich
geschobene Wahlen und eine Regierung, die jeder aufrechte Russe verachten
muß. Der Unterschied zwischen Albanien und Rußland, so der
Schluß des Verfassers, muß daher im subjektiven Faktor liegen:
Man kann unseren Führern zu solchen Untertanen nur gratulieren,
die Untertanen selbst sind allerdings weniger zu beglückwünschen. Einen anderen Unterschied gibt es freilich auch noch: Rußland verfügt immer noch über ganz andere ökonomische und militärische Potenzen als das Land der Skipetaren, ein russischer Volksaufstand hätte daher eine andere weltpolitische Dimension. ____________________________________________________________________ (1) Aus seiner Rede auf dem außerordentlichen Kongreß vom Jahresende 1990, zitiert nach: HVG Heti Világgazdaság, xxxxxUngarische Wochenzeitung, 5.1. 1991 (4) Salzburger Nachrichten, 5.4. 1993 (5) Salzburger Nachrichten, 30.4. 1993 (6) Bashkim Fino, damals noch Bürgermeister von Gjirokastër, über die Zukunftsperspektiven seiner Region, in: Presse, xxxxx21.9. 1994 (8) Neue Zürcher Zeitung, 25.10. 1995 (10) OMRI Open Media Research Institute, Internet-Nachrichtendienst von Radio Free Europe/Radio Liberty, 13.5. xxxxx1997 (12) Albania Land of the Eagles Internet-Service der Demokratischen Partei Albaniens (13) Alle Details zu den Wahlen und deren Folgen: OMRI (15) OMRI, 12.2. und 17.2. 1997 (18) OMRI, 12. und 13.3. 1997 und Standard, 14.3. 1997 (21) ALBANIEN, Tirana 1985, S 42 (24) OMRI, 26.5. und 3.6. 1997
(in: ak Analyse und Kritik Nr. 404, 3.7. 1997) |