DIE VERBINDUNG VON STEPHAN SZÉCHENYI
UND GEORG SINA UND DAS UNTERNEHMEN KETTENBRÜCKE
I. ABSCHNITT: EINLEITUNG UND VORSTELLUNG
1. Der ungarische Magnat und der griechische Kaufmann
2. Aktiengesellschaften im Vormärz
XX2.1. Die Gründer
XX2.2. Die Aktionäre und die Aktien
XX2.3. Der Staat
3. Das Verkehrskonzept Széchenyis, dessen Freunde
und Gegner
II. ABSCHNITT: DIE GEMEINSAMEN UNTERNEHMUNGEN
1. KAPITEL: DIE KETTENBRÜCKE
1.1. Der Einstieg Sinas und der Vertrag mit der
Reichsdeputation 1838
XX1.1.1. Ein Unternehmen von ungewöhnlicher Dimension
XX1.1.2. Illusionen über die Macht des Geldes
XX1.1.3. Das Kind wird gezeugt
XX1.1.4. Die Konkurrenten und die Kostenvoranschläge
XX1.1.5. Einigung und Vertragsabschluß
XX1.1.6. Der Reparaturfonds
1.2. Baumaterialien, Teil I: Holz und Steine
1.3. Ablöse-Zahlungen, Teil I: Die Gebäude
am Budaer Ufer
XX1.3.1. Endloses Hin und Her der Behörden
XX1.3.2.
und dessen Grund: Die Brücke aus der Sicht des Militärs
XX1.3.3. Die Verhinderung der Verhinderung
1.4. Ablöse-Zahlungen, Teil II: Die Entschädigung
an Buda und Pest
XX1.4.1. Die Verhandlungen und deren Abbruch
XX1.4.2. Die Einigung nach dem Tode der Beteiligten
1.5. Materialien II: Importierte Eisenbestandteile
XX1.5.1. Die angestrebte Befreiung vom Einfuhrzoll
XX1.5.2.
und deren Hindernis: Protektionismus
XX1.5.3.
bzw. dessen Hintergrund: Begierde nach Zolleinnahmen
XX1.5.4. Letzte Versuche und Aufschiebung der Zollgebühren
XX1.5.5. Die Herstellung der Kettenglieder
XX1.5.6. Der Transport der Ketten
1.6. Die Aktienausgabe und die Finanzierung der
Brücke
XX1.6.1. Die Frage der Beteiligung
XX1.6.2. Die Ausgabe der Aktien
XX1.6.3. Tatsächliche Kosten während des Baues
XX1.6.4. Ursprünglich veranschlagte Kosten und Berechnungen
XX1.6.5. Einnahmen und Unkosten und das Ende der Aktiengesellschaft
XX1.6.6. Die Aktien nach 1847
1.7. Die Sparsamkeit Sinas: kaufmännische Berechnung
und ökonomischer Widersinn
1.8. Die Eröffnung der Brücke
2. KAPITEL: EISENBAHNEN
2.1. Der Reichstag von 1836 und die folgenden Jahre
XX2.1.1. Die Linie nach Győr
XX2.1.2. Die Aktienausgabe
XX2.1.3. Die Konkurrenz schläft nicht
XX2.1.4. Die Flügelbahn nach Preßburg
2.2. Der Reichstag von 1839/40 und seine Folgen
XX2.2.1. Der Reichstag und die Fraktionskämpfe
XX2.2.2. Der Baustopp 1840
XX2.2.3. Die Linie nach Wiener Neustadt und Gloggnitz
XX2.2.4. Der Plan der staatlichen Unterstützung des Eisenbahnbaues
und seine XX XXbegrenzte Gültigkeit für Ungarn
2.3. Der Reichstag von 1843/44 und die Wiederaufnahme
der Baupläne für die Strecke nach Győr
XX2.3.1. Die Wiederaufnahme des Baues und die Verhandlungen Sinas mit
der XX XXZentralbahn
XX2.3.2. Der neuerliche Anlauf Sinas um die Konzession für Ungarn
XX2.3.3. Der Einfluß Széchenyis auf die Baupläne Sinas
XX2.3.4. Neue Schlachten auf dem Reichstag
XX2.3.5. Schwierigkeiten mit dem Palatin
XX2.3.6. Die Genehmigung der Linie nach Győr und die Eröffnung
der Strecke XX XXnach Bruck
XX2.3.7. Pläne einer Verlängerung nach Südosten
2.4. Die Soproner Linie, und das Projekt der Verbindung
mit dem Meer
XX2.4.1. Die Seitenbahn Wiener Neustadt-Sopron
XX2.4.2. Eisenbahnprojekte in Südungarn und Kroatien
XX2.4.3. Finanzierungsschwierigkeiten bei der Soproner Bahn
XX2.4.4. Die Verstaatlichung der Soproner Bahn
2.5. Die Gloggnitzer Bahn 1848-1854
XX2.5.1. Die Übernahme der Südbahn
XX2.5.2. Die Finanzierung. Aktien und Obligationen
2.6. Die Wiederauferstehung der Strecke nach Győr
XX2.6.1. Die Abtrennung der Brucker Linie von der Südbahn
XX2.6.2. Der Verkauf der Brucker Linie an eine ausländische Gesellschaft
3. KAPITEL: REGULIERUNGS- UND KANALPROJEKTE
3.1. Vorgeschichte: Der Bacser oder Franzenskanal
3.2. Der Donau-Theiß-Kanal
3.2.1. Die Entstehung des Projektes und die Bemühungen des Palatins
3.2.2. Die Wiedergeburt des Kanalprojektes
3.2.3. Der Kanal im Spiegel der Korrespondenz
3.2.4. Der Plan und die Gutachten
3.2.5. Der Kanal versickert
3.3. Die Theißregulierung
3.3.1. Die Theiß
3.3.2. Die rechtlichen Grundlagen
3.3.3. Die Finanzierung
3.3.4. Die Pläne
3.3.5. Die Organisation und Struktur der Gesellschaft
3.3.6. Geleistete Zahlungen
3.3.7. Das Ende der TTG
Nachwort. Ungarn
1840 und 2002: Die Mobilität und ihr Preis
ANHANG
Bibliographie
Personenverzeichnis
Verzeichnis der benützten Archive
___________________________________________________________________________
1. Der ungarische Magnat und der griechische Kaufmann
Mit Stephan Széchenyi (1791 Wien1860 Wien-Döbling)
und Georg Sina (1783 Ni1856
Wien) hatten sich zwei Menschen, die sich nach Herkunft und Interesse
sehr voneinander unterschieden, miteinander verbündet. Der eine
gehörte einer untergehenden, der andere einer aufstrebenden Gesellschaftsklasse
an. Diesen Umstand hat Széchenyi wahrgenommen, wenn er schmerzlich
berührt und eifersüchtig immer wieder vermerkte, daß
dieser Emporkömmling sich mit Attributen des Reichtums und der
Vornehmheit umgab, die einige Jahrzehnte früher ein ausschließliches
Privileg des Adels gewesen waren:
der Brückenhof
ganz in Gala Baron Sina Georg! zu Ehren! Sina kommt
auf dem Árpád. Man macht ihm 21 Schüsse. Bei
Podiebrad küssen die herrlichen Jäger und Förster Sina
die Hand
Ihr Verhältnis war bestimmt von Kalkulationen aller Art, aber auch
beherrscht von Leidenschaften. Sein Verhältnis zu Sina hat Széchenyi
einmal so charakterisiert: Ich stehe zu Sina. An ihn bindet mich
nicht nur die feste Überzeugung, derzufolge er ceteris paribus
der fähigste Unternehmer ist, und wir von ihm in der materiellen
Entwicklung unseres Vaterlandes das meiste zu erwarten haben, sondern
es ist auch eine Frage meiner Ehre. Das letztere muß ich erklären.
Ohne mich hätte Sina sich nie auf Unternehmungen in Ungarn eingelassen.
Ich habe ihn dazu veranlaßt, seine sicheren Fahrwässer zu
verlassen, usw. usw. Wie könnte ich es jetzt mit meiner Ehre vereinbaren,
ihn nun, wo alle Welt auf ihn losgeht, nicht zu unterstützen?
Die Verbindung mit Sina brachte Széchenyi Verdächtigungen
von Seiten seiner Gegner ein, die ihm sehr unangenehm waren: Man
sagt, ich hätte mich an Sie verkauft, um tüchtig Geld zu machen
Andere ungarische Adelige stichelten, er sei wohl Sinas
Spion , er wohne ja auch in seinem Haus in Preßburg
Széchenyi schnaubte vor Wut: Die Würmer vernichten
mich!
Als ob ich mich bestechen ließe! Er betonte
immer wieder von neuem: Ich habe nie für Sina den Narren
abgegeben und ich werde es auch nie tun.
Dafür, daß Széchenyi auf Sina als Unternehmer gesetzt
hatte, mag er persönliche Gründe gehabt haben, z.B. den, daß
Sina kein Jude war, wie die meisten anderen damaligen wichtigen Bankiers
und Kaufleute der Monarchie. Bei seiner Wahl spielte die Tatsache, daß
Sina in Ungarn große Besitzungen hatte und viele Geschäfte
mit Ungarn betrieb, sowohl im Tabakhandel als auch bei seinen Kreditoperationen,
sicher eine bedeutende Rolle: Széchenyi hatte Grund, anzunehmen,
daß Sina mehr Interesse an der Entwicklung in Ungarn haben müsse
als die anderen großen Wiener Bankiers. Ein anderer die beiden
verbindender Punkt war die geplante Eisenbahn von Wien nach Raab
(Gy#r), die Sina seit Anfang des Jahres 1836 betrieb und an der
Széchenyi von Beginn an sehr interessiert war. Durch die DDSG,
bei der beide Aktionäre waren, kamen sie bereits Anfang der 30-er
Jahre in nähere Berührung und Sina empfahl 1830 Széchenyi
einen Kaufmann aus Újvidék (Novi Sad, Jugoslawien) als
Ratgeber für seine Donau-Regulierungsarbeiten beim Eisernen Tor.
Im Jahre 1833 wählte Széchenyi Sina zu seinem Bankier, eröffnete
formell bei ihm ein Konto und ließ von da an auch seine Auslandszahlungen
und Importgeschäfte hauptsächlich durch ihn tätigen,
wie sich aus seiner Korrespondenz erschließen läßt.
In den ersten erhaltenen Briefen Sinas an Széchenyi aus 1833,
1834 und April 1836 ist von der Brücke noch keine Rede, es geht
um Bilanzen und auf Széchenyis Rechnung getätigte Einkäufe,
1836 bereits um die Frage der Eisenbahnen in Ungarn. Széchenyi
hatte Sina aufgefordert, auf dem Reichstag in Preßburg zu erscheinen,
um durch seine Anwesenheit den Streit um die rechtlichen Voraussetzungen
des Eisenbahnbaus positiv zu beeinflussen. Sina lehnte ab: Um
so weniger würde ich aber mir es anmaßen, zu glauben: daß
meine Stimme und meine Gegenwart in Preßburg bei der Beratung
des Gegenstandes der Eisenbahnen den Ausschlag geben würde, da
ich mir
nicht
jener Macht des Einflusses bewußt
bin, welche die Beratungen in dieser Hinsicht leiten könnte.
Mit dieser Antwort war ein Teil der Arbeitsteilung zwischen
den beiden vorgezeichnet: Sina weigerte sich von da an, sich in die
politischen Fraktionskämpfe Ungarns hineinziehen zu lassen, und
er trat fast nie vor dem Reichstag auf.
Über die Persönlichkeit Georg Sinas fielen
die Urteile seiner Zeitgenossen recht eindeutig aus: Georg Sina,
obgleich eine der reichsten Privatmänner (der Monarchie), betrieb
die Sparsamkeit bis hin zum Geiz, ihn beherrschte keine andere Leidenschaft
als die des Gelderwerbs. Erwerbstätigkeit war ihm nicht
Zweck, nicht Mittel, sondern Lebensbedingung, Lebenselement. Die
Kargheit dieses [Menschen] war sprichwörtlich geworden
er
pflegte
oft Supplikanten auf die größere Freigiebigkeit
des Sohnes zu vertrösten. Diese Beobachtungen konnte Széchenyi
bestätigen: Der Baron, der sehr ökonomisch ist,
Sie können anführen, daß Sie für das Wohl
der Gesellschaft jene Salarien ersparen wollten, die die Mitglieder
der Kommission bekommen müßten. Sehr lobenswert! Ich
weiß, daß der Baron gern handelt
The
baron who likes to do things well but rather inclines toward the cheap
... Sendet ihn der Baron, so geht er gewiß so spät
wie möglich, um allenfalls 11 fl.39 kr. Wiener Währung zu
sparen. Er
macht mir infam teure Rechnungen
ist überhaupt ein Schmutzian
, und einen zähen
Kampf mit Sina um von ihm nötig erachtete Ausgaben ausgefochten.
Wenn Sina aus eigenem Antrieb Geschenke machte, so waren sie erlesen:
So schickte er Széchenyi 1848 eine Freikarte für
die Gloggnitzer Eisenbahn. Széchenyi bedankte sich höflich.
Széchenyi, der seine Schritte in der festen Überzeugung
setzte, daß ihm das Schicksal Ungarns vom Allmächtigen anvertraut
worden sei ihm [Metternich] gab die Herrschaft über
Ungarn der Kaiser, mir Gott! , war gleichermaßen angezogen
und abgestoßen von dem Bankier, der keine andere Richtschnur des
Handelns kannte als die des eigenen (Geschäfts-)Interesses. Anläßlich
des Ausbruches der Pariser Märzrevolution stellte sich Széchenyi
die Frage: Kann meiner ungarischen Heimat daraus ein Nutzen erwachsen?
und fügte noch vorher in Klammer hinzu: Ebenso fragt sich
der Baron in seinem Innersten unweigerlich: »habe ich einen Nutzen
davon«. Sinas Einstellung zu Ungarn war sicher auch nicht
nach dem Geschmack Széchenyis: Nein, wenn ich in diesem
Hottentotten-Land nur nichts gekauft hätte! Lauter Betrug!
Es war aber auch dieses Moment der Berechnung und Berechenbarkeit, das
Széchenyi an Sina schätzte, und das sich wohltuend vom launenhaften
und inkonsequenten Handeln seiner Standesgenossen, der Männer,
die in Ungarn im Vormärz das politische Leben bestimmten, unterschied.
Wenngleich ihn Sina oft zur Weißglut trieb, so wußte Széchenyi
doch: Er konnte sich auf ihn verlassen. Seine Einstellung zu Sina war
folglich von einem Wechselbad der Gefühle begleitet. Einerseits:
Sie gerader Stamm im Krummgehölze , Adler
, endlich sind Sie der Mann der Vorsehung , und wären
Sie nicht, Sie allein, auf den ich baue , andererseits: Sie
Grausamer! Ich warte schon seit 14 Tagen auf den abscheulichen
Baron! Er kommt nicht
, Enfin, es gibt Menschen,
denen man nicht helfen kann, usw.
Wenn Sina keine Zeit für Széchenyi hatte, weil ihn wichtige
und dringende Geschäfte völlig in Anspruch nahmen, wenn
er ihn gar warten ließ oder ihn nötigte, wegen wichtiger
Besprechungen nach Wien zu reisen, so stürzte dies Széchenyi
des öfteren in Verzweiflung: Sina kommt (noch) immer nicht!
Ich bin mit meiner Zeit in angustiis! Er ladet mich ein
und bleibt auf dem Lande! Mein Leben, meine Seligkeit scheint
verpfändet
Bald gehet das Ganze unter!
Es war also auf Széchenyis Initiative zurückzuführen,
daß Sina sich überhaupt unternehmerisch in Ungarn betätigte.
Was bewegte ihn dazu? Was seine geschäftlichen Berechnungen
betrifft, so sind diese im Kapitel Aktiengesellschaften
behandelt. Ein anderes Moment ist das persönliche Element, oder
wie Széchenyi es ausdrückte: Ohne ihn hätte
sich Sina nie, oder nicht in dieser Form, in die Unternehmungen in Ungarn
eingelassen. Was er für Széchenyi empfand, läßt
sich nur raten: Geschäftsleute führen im allgemeinen keine
Tagebücher und stehen Sentimentalitäten verständnislos
gegenüber. Seine wiederholte Beteuerung: Recht sehr freue
ich mich darauf, Sie bald persönlich hier verehren zu können
sollte man nicht überbewerten: Ähnliches schrieb
er einige Jahre vorher auch einem Grafen Batthyány, mit dem er
unbedingt ein Geschäft
machen wollte. Es war
anscheinend eine besonders höfliche Formulierung für Personen,
an denen er ein gesteigertes Interesse hatte. Ein ernstzunehmenderes
Zeichen der Zuneigung von Seiten eines Mannes, der nur eine einzige
Leidenschaft besaß, ist sein 1839 gemachtes Angebot, Széchenyi
sein Haus in Preßburg für die Dauer des Reichstages
zu überlassen. Über das Weitere werden wir uns dann leicht
vereinigen, da Sie mir ein zu werter und geehrter Freund sind, als
daß ich eine Zahlung für die Benützung dieses Quartiers
als Mietzins von Ihnen annehmen sollte. (Hervorh. d. Verf.)
Er nannte Széchenyi einmal einen großen Spitzbuben
, als dieser seine Beteiligung an der Brücke aufgeben wollte, bekannte
ein andermal: Széchenyi bringt mich zu Allem.
Bei Sina spielte sicher der Umstand eine Rolle, daß ihm die Vorstellung
angenehm war, sich mit der Brücke selbst ein Denkmal zu setzen,
und überhaupt nicht bloß als reicher Mann, sondern auch als
Wohltäter Ungarns in die Geschichte einzugehen. Auf den Aktien
der Kettenbrücke stand: Gestiftet von Baron Georg Sina,
was bei Széchenyi die Befürchtung auslöste, Sina und
nicht er selbst könnte der Nachwelt als Initiator der Kettenbrücke
gelten. Diese Sorge war unbegründet, wie wir heute wissen: Die
Brücke wird mit dem Namen Széchenyis verbunden, nicht mit
dem des Unternehmers.
Die Taktik Széchenyis, Sina zu schmeicheln und ihm Eigenschaften
und Regungen zuzuschreiben, die er gar nicht besaß, hat sicher
ihre Wirkung nicht verfehlt: Ihre bekannte Teilnahme für
gemeinnützige Anstalten
Tierney Clark lobt mir
in jedem Schreiben Ihre Generosität
, daß
Sie mit gewohnter Willfährigkeit für alle gemeinnützigen
Strebungen
usw.
Ein interessanter Zug des Verkehrs zwischen den beiden
ist der Langmut, mit dem der Bankier auf die oft beleidigenden Gefühlsausbrüche
des Grafen reagierte: Széchenyi warf ihm 1839 in einer Reihe
von Briefen vor, die in ihn gesetzten Hoffnungen zu enttäuschen:
Seine (Sinas) rosafarbene Ansicht der Welt täusche
ihn, nichts sei systematisiert, sondern nur eine stückweise
Improvisation, man wisse nicht, wer denn eigentlich Koch
und wer Kellner sei. Sie hörten mich
nicht an,
Wir sind gänzlich verschiedener Meinung! Sie halten die
Ausführung des Gegenstandes für leicht, ich für sehr
schwer!
so fürchte ich, werden wir unmöglich Hand in
Hand gehen können,
Sie oder ich die Geduld verlieren,
das Ganze werde wie eine türkische Schlacht geführt
, mit einem Wort, Sina überlasse alles ihm, spare nur und kümmere
sich überhaupt nicht um das Unternehmen. Kaum seien sie der
Charybdis glücklich entkommen trieben sie jetzt schnurstracks
und mit vollen Segeln der Scylla entgegen. Sina habe geheime Pläne,
die er laut Széchenyi, ihm nicht mitteilen wolle,
damit Sie mich beseitigen. Wenn das Unternehmen (Kettenbrücke)
ohne ihn über die Bühne gehen sollte, so sei es ihm auch recht,
wenn aber die Planlosigkeit Sinas die Brücke vereitle, so wäre
es schlimm. Sina möge endlich einmal seine vielen anderwärtigen
Geschäfte momentan vergessen und einen ordentlichen Schlachtplan
aufstellen. Sina erwiderte in einem langen Brief, etwas gekränkt,
er ginge eben wegen der Schwierigkeiten doppelt vorsichtig zu
Werke, nicht er sehe alles rosa, sondern Széchenyi zu
schwarz, der Verdacht, er wolle sich Széchenyis entledigen,
berühre ihn um so schmerzlicher, da er seines Rates,
seiner Einsicht und
Mitwirkung nie einen Moment lang
enbehren habe wollen. Auf einen anderen Verzweiflungsausbruch Széchenyis
antwortete er mit der Versicherung: Was soll ich zu Ihrem
werten Schreiben und dem Unmute, der aus jeder Zeile desselben hervorleuchtet,
sagen als daß auch ich betrübt und verdrießlich genug
bin und nicht eher lachen und mich freuen werde, als bis die
Brücke einmal ganz fertig ist.
Auch die Zusammenkünfte der beiden dürften Széchenyis
Aufzeichnungen zufolge des öfteren turbulent verlaufen sein: Viel
und unangenehm mit Sina. Endlich bei Sina gegessen. Mich
mit diesem zerzankt
Esse bei Sina.
Saufe alles
zusammen. Zu Sina. Oh wie zäh. Bei Sina.
Trage vor
Er schaut drein. zu Sina
wegen
Wechsel von 55.000 fl. Er wehrt sich, dann mit »Größe«
ausbezahlt.
In welchem Grade bei Széchenyi die Leidenschaft am Werke war,
wird auch an seiner Besprechung der gemeinsamen Projekte deutlich:
Er bezeichnete sie wiederholtermaßen als seine Kinder
und Sina war dann notgedrungen der Partner, mit dem diese Geschöpfe
gezeugt und aufgepäppelt wurden: Ich (hatte) bereits wieder
einen recht unangenehmen Krampf-Anfall
und ich glaube, bloß
weil unsere Brücke noch immer nicht zur Welt kommen will, und ich
mich sehr vor irgend einer Nachgeburt fürchte, die jene unsere
Brücke begleiten wird. Während Sie so siegreich
einherschreiten, bin ich ein altes krankes Weib
Seitdem
»unser Kind«, die Brücke, unter meinem Fenster alle
Tage mehr und mehr prosperiert, geht es auch meiner Leber besser.
Es wäre doch schön, wenn wir, in guter Menage, unsere
Erstgeborene die Brücke nämlich mit einem Söhnlein,
dem Kanal, verherrlichen würden! Hurra! An dieser Betrachtungsweise
ihrer Zusammenarbeit scheint der Bankier Gefallen gefunden zu haben:
Nach langem Krampfe ist endlich gestern abends die glückliche
Entbindung erfolgt mit diesen Worten benachrichtigte Sina
seinen Partner von der Genehmigung des Brücken-Vertrages durch
den Kaiser.
Ein weiterer charakteristischer Zug des Herrn Grafen war seine Gewohnheit,
Sina stets mit ausführlichen Beschreibungen seines angegriffenen
Gesundheitszustandes zu versorgen, wobei er mit dramatischen Formulierungen
nicht sparte: Ihr leberkranker, halb blinder, aber noch keineswegs
eingeschüchterter oder gar gebeugter Freund Széchenyi
O Jemine! mich sticht es in der Leber, sobald ich darauf denke.
Er schreckte auch nicht davor zurück, Sina für seinen Zustand
verantwortlich zu machen und dies mit Quasi-Drohungen zu verbinden:
Wenn ich infolge dieser Unterdrückung (der inneren
Wut) indessen eine Leberentzündung bekomme, was wahrscheinlich
ist, so hoffe ich, Sie werden mich gratis kurieren lassen. Von
Sina, der in seinen diesbezüglichen Andeutungen eher sparsam war
ihr geplagter , und nicht mehr sehr junger
Freund , nahm Széchenyi daher an, er sei nie krank,
sondern habe eine Gesundheit wie wenige.
Das aufbrausende Temperament des Ungarn, der jahrzehntelang immer wieder
den Selbstmord als letzte Lösungsmöglichkeit erwog und schließlich
auch wählte, hat Sina sicherlich oft genug an sich erfahren dürfen:
Sie aber, mein Freund, dürfen mir sodann nicht Umstände
machen, denn in diesem Fall bliebe mir dann wahrlich nichts übrig,
als mich zu erhängen oder Sie zu erschießen. Bei Sina
trat offenbar mit der Zeit ein gewisser Gewöhnungseffekt gegenüber
solchen Formulierungen Széchenyis ein, er antwortete auf diesen
Brief lapidar:
danke ich Ihnen verbindlich für die
darin enthaltenen Mitteilungen und hoffe das Beste für die gute
Sache, da ich auf Ihren Eifer, Ihre Umsicht und Ihr Glück unbedingt
vertraue. Manchmal jedoch, so scheint es, war selbst Sina nahe
daran, die Geduld zu verlieren: Jedes Ding muß einen Anfang
und ein Ende haben,
weshalb ich
Ihrem Wunsche mich nicht
für einverstanden erklären kann. Széchenyi notierte
daraufhin in sein Tagebuch, Sina habe ihm einen pitzlichen Brief
geschrieben.
Trotz aller Differenzen bestand die Zusammenarbeit der beiden über
ein Jahrzehnt und fand erst mit Széchenyis fast vollständigem
Rückzug aus der menschlichen Gesellschaft ihr Ende. Für Sina
ist der umstrittene Graf ein Partner ganz besonderer Art gewesen: Széchenyi
war ein Meister der politischen Intrige, er kannte die Schwächen,
Abneigungen und Vorlieben seiner ungarischen adeligen Zeitgenossen ebenso
wie die des Pester und Budaer Bürgertums und der Wiener Politiker
bis ins kleinste Detail. Er gab Sina genaue Instruktionen, vor
welcher Institution, welchem Gremium, welcher Person er wie aufzutreten
habe, welche Prinzipien er in den Vordergrund stellen müsse, welche
Animositäten er zu seinen Gunsten nützen solle. An einer Stelle
empfahl er einen patriotischen Tonfall, an der anderen sei mit der Aussicht
auf Gewinn zu punkten, an anderer Stelle wiederum müsse Sina das
eigene Interesse als probates Mittel, einen politischen Gegner auszuschalten,
vortragen. Viele Eingaben Sinas an den Palatin oder an Mitglieder der
Verwaltung Ungarns hat Széchenyi selbst verfaßt und Sina
nur zur Unterschrift vorgelegt. Oder Széchenyi plante konzertierte
Aktionen, bei denen Sina den einen oder anderen seiner Schuldner, oder
Wiener Politiker auf der einen Seite, Széchenyi seine ehemaligen
Gefährten vom Militär oder Freunde aus der Jugendzeit oder
Verwandte unter dem Motto »Wir als Ungarn/Adelige/Patrioten«
auf der anderen Seite, in einer wichtigen Frage bearbeiteten. Gelang
den beiden ein solchermaßen eingefädelter Schachzug,
in der Formulierung des ehemaligen Husarenhauptmanns: eine Schlacht
, so freuten sie sich diebisch: Ich kann es mir recht lebhaft
vorstellen, welch komischen Eindruck, mitten in der Freude des Sieges,
den Sie der guten Sache erkämpften, Ihnen die langen Gesichter
des Szitányer und seines Schildknappen gemacht haben mögen,
und wünsche recht herzlich, daß diese Erschütterung
des Zwerchfelles sich ehestens wieder zur Besserung ihrer Leber wiederholen
möge.
Sina sah also seine gute Sache in den Händen
Széchenyis bestens aufgehoben, er wußte, daß er von
dessen Seite keine Täuschung und auch keine plötzlichen Kehrtwendungen
zu gewärtigen hatte, weil dieser keine geschäftsmäßigen,
sondern politisch-national orientierte Ziele verfolgte. Es trat hier
also der seltene Fall ein, daß gerade der Unterschied der
Interessen ihre Gemeinsamkeit, und damit die Zusammenarbeit der
beiden begründete.
Mit den politischen Turbulenzen des Vormärz wuchsen allerdings
die Spannungen zwischen dem Ungarn und dem Bankier. Ich weiß,
der Baron wird mir zürnen
Es ist mir gleich: (er) hilft
der Ödenburger Eisenbahn mit 7%
es war für die Sache
wichtig, daß das Interesse seiner verhaßten Person weggelassen
wurde
nun glaubt wenigstens niemand mehr, daß ich von ihm
abhängig bin. Seinen Vertrauten und Mitarbeiter im Ministerium,
Lajos Kovács, wies Széchenyi an, für die Theißregulierung
bestimmtes Geld das von einem Kredit der Bankhäuser Sina
und Rothschild herrührte für andere, bereits zahlungsunfähige
Pester Unternehmen zu verwenden. (Der hat es aber, den späteren
Abrechnungen zufolge, nicht getan.) An Sina schrieb Széchenyi:
Sie, der in Ungarn viel besitzt, dürften es gleichfalls in
Ihrem Interesse finden, die Schritte und Tendenzen der nun kreierten
Regierung nach Möglichkeit zu unterstützen. Sina teilte
ihm in seiner Eigenschaft als Direktor der Nationalbank
mit, daß auf seine Intervention hin die Wiener Regierung einen
Kredit von einer Million Gulden für Ungarn zur Verfügung gestellt
habe, und bat ihn, dafür zu verhindern, daß die Auszahlung
der Gehälter in Ungarn in Silbergeld erfolge, da der Silberschatz
der Nationalbank im Schwinden begriffen sei. Széchenyi versah
Sina mit philosophischen Betrachtungen: Die Zeiten sind schlimm.
Sie werden aber vielleicht besser werden. Bis dahin müssen die
kräftigeren Naturen, wie Sie sind, gegen Sturm und Wellenschlag
ankämpfen und die Welt ist gerettet. Gleichzeitig tat das
genaue Gegenteil dessen, worum ihn Sina ersucht hatte: Er bestürmte
das ungarische Finanzministerium, für die Gehälter der bei
der Theissregulierung beschäftigten Arbeiter Silbergeld
herauszurücken. Im Juni 1848 schrieb er den letzten erhaltenen
Brief an Sina, in dem er zur Kenntnis nahm, daß Sina und Rothschild
wegen Zeitumständen und Geldverhältnissen
vorderhand
den Kredit für die Theißgesellschaft gesperrt hatten. Széchenyi
versuchte noch, Sina zu überzeugen, daß die neue gesetzliche
Ordnung in Ungarn sich von Tag zu Tag mehr befestigt und gab seiner
Hoffnung Ausdruck, daß Sina und Rothschild daher Mittel
finden können und wollen, die
Geldoperation mit der Theiß-Gesellschaft
weiter fortzusetzen.
Beim Aufziehen der letzten Kette auf die Kettenbrücke im Juli 1848
kam es zu einem bei dieser Art von Manövern üblichen
Mißgeschick: Eine Rolle des Flaschenzuges riß, die
Kette stürzte auf das Boot, in dem Széchenyi saß,
dieses kenterte und er mußte sich schwimmend ans Ufer retten.
Für einen Mann von fast 57 Jahren keine Kleinigkeit. Seine Gesundheit
muß entgegen seinen ständigen drastischen Schilderungen sehr
robust gewesen sein: Ihm geschah nichts. Aber sein Gemütszustand
war bereits angeschlagen, und so interpretierte er dieses für
den Brückenbau relativ belanglose technische Gebrechen als
einen Wink der Vorsehung, der eine Prophezeiung für das Schicksal
Ungarns enthielt: So wird es mit uns auch zugehen, 11 Stunden
lang wird alles vortrefflich gelingen und wenn wir dann schon voll der
Zuversicht sind, so bricht in der 12. Stunde alles zusammen.
Die Verbitterung, die Széchenyi Sina gegenüber
im schicksalhaften Jahr 1848 entwickelte, als er von ihm nicht die erwartete
Unterstützung erhielt, ist letztlich nichts anderes als der Ausdruck
dessen, daß er den eigennützigen Griechen über ein Jahrzehnt
lang als seinen wichtigsten Verbündeten bei seinem
großangelegten Konzept der Modernisierung Ungarns betrachtet hatte.
Seine solchermaßen kombinierte Anhänglichkeit an Sie
und den wahren Nutzen meines Vaterlandes , wie er es einmal formuliert
hatte, pflegte er nicht ganz zu Unrecht: Sie kennen, verehrter
Freund, meine Gesinnungen, und daß ich noch alle Unternehmungen,
die ich begonnen habe, ungeachtet aller Hindernisse durchführte,
ich werde daher auch hierin gewiß nicht zurückbleiben,
versicherte ihm Sina einmal, um die Bedenken des Grafen zu zerstreuen.
Stephan Széchenyi hat Ungarn nach 1848 nicht mehr betreten und
ist 1860 nahe seiner ihm verhaßten Geburtsstadt gestorben; seine
Brücke, die er nie in fertigem Zustand gesehen hat, hat Georg Sina
1849 eröffnet, und dieser hat auch dafür gesorgt, daß
die Eisenbahnlinie nach Gy#r endlich doch
gebaut und fertiggestellt wurde, ein halbes Jahr vor seinem Tod,
im Dezember 1855.
_____________________________________________________________
3. 1. Vorgeschichte: Der Bacser oder
Franzenskanal
Als Sina und Széchenyi den Donau-Theiß-Kanal planten, gab
es bereits einen Vorläufer im südlichen Teil der Tiefebene,
der ebenfalls Donau und Theiß verband, den Bacser oder Franzenskanal.
Dieser Bacser Kanal verlief ursprünglich mit 5 Schleusen zwischen
Monostorszeg (Baçki Monotor, Jugoslawien)
über die Strecke Bezdán-Kissztapár-Verbász-Szenttamás
(Bezdan-Mali Stapar-Vrbas-Srbobran, alles in Jugoslawien) nach Földvár
(Baçko Gradite, Jug.). Er
wurde von den Brüdern Kiss geplant, sie erhielten auch das Privileg
zu seiner Ausführung. Diese Brüder waren Ingenieure, der eine
war beim Komitat Bács angestellt, der andere bei einem Regiment
der Militärgrenze. Die Verleihung des Privilegiums 1793 und die
Gründung einer Aktiengesellschaft zum Bau des Kanals versetzte
sie in eine Art Rausch: Sie planten ein umfassendes Kanalnetz für
ganz Südungarn und die Militärgrenze. Dabei hatten sie offenbar
die Möglichkeiten, die solche Wasserstraßen boten, im Auge
und vergaßen die Kosten, oder sie unterschätzten sie beträchtlich.
Sie planten einen Donau-Save-Kanal von Vukovar nach ¦amac
und einen anderen von einem unbekannten Ort an der Donau nach Brod,
sowie einen Kanal von Karlovac an die Adria . Letzteren nahmen sie auch
in Angriff, aber das Bauunternehmen stockte bald. Die Verbindung von
Karlovac zum Meer wurde dann mittels einer Straße hergestellt,
der Luisenstraße oder Strada Ludovicea. Für ihren Bau zeichnete
die gleiche Gesellschaft verantwortlich, die auch den Bacser Kanal errichtete,
die Privilegierte Ungarische Schiffahrts-Gesellschaft.
Diese Gesellschaft war die erste aktenmäßig bekannte Aktiengesellschaft
Ungarns. Ihre Aktionäre rekrutierten sich aus dem Hochadel und
den Führungskreisen des Militärs sowie deren Verwandten. Es
ist wahrscheinlich, daß sie alle Grundbesitz in der unmittelbaren
Nachbarschaft des zu bauenden Kanals besaßen. Das Komitat Bács
ebenso wie die Gebiete jenseits der Theiß wurden nach den siegreichen
Türkenkriegen der Monarchie einverleibt, als herrenloses Land behandelt
und entweder zu Staatsbesitz erklärt oder an Personen verteilt,
die sich in den Türkenkriegen verdient gemacht hatten. Deren Nachfahren
wollten jetzt ihre Güter durch den Kanal aufwerten und besser nutzen,
weil sie sich von ihm bessere Transportmöglichkeiten, Be- oder
Entwässerung, und Hochwasserschutz versprachen.
Der Franzenskanal wurde während der Napoleonischen Kriege gebaut.
Die der AG von Seiten des Hofkriegsrats bei Verleihung des Privilegiums
zugesicherten Militär-Mannschaften erhielt sie deshalb
nie: Alle Soldaten wurden an den verschiedenen Fronten gebraucht. Die
einzige Hilfestellung bestand in einigen hundert Sträflingen. Außerdem
wurden Südungarn und die Militärgrenze von Pestepidemien und
Viehseuchen heimgesucht. Der Bau zog sich in die Länge und verteuerte
sich dadurch beträchtlich. Die Kostenvoranschläge waren auch
ohne diese zusätzlichen Schwierigkeiten unrealistisch gewesen.
Angesichts dieser finanziellen Notlage beschlossen die Brüder Kiss
in ihrer Eigenschaft als Bauleiter, von den durch Ingenieure des Hofkriegsrats
genehmigten Bauplänen abzuweichen und den Kanal seichter zu bauen,
um die Grabungsarbeiten schneller beenden zu können. Dieser Schritt
stellte die Schiffbarkeit des Kanals und damit den ganzen Bau in Frage.
Die Brüder Kiss wurden 1798 der Bauleitung enthoben und vom Kanalbau
entfernt. Die Gesellschaft unterstellte sich dem persönlichen
Schutz des Kaisers.
Dieses allerhöchste Wohlwollen verschaffte der Gesellschaft erst
wieder Kredit. 1798 gab die AG 1,2 Millionen fl. in Partialobligationen
aus. Außerdem hatte sie von einem Hofrat einen Kredit von 500.000
fl. erhalten. Durch die Vermittlung des Bankhauses Arnstein erhielt
sie 200.000 fl. zu 6% von einem Schweizer Krediteur. 1800, als der Kanal
noch immer nicht fertig war, nannte die AG eine Summe von 2,5 Millionen
an Baukosten. Später gab sie an, die Baukosten haben sich auf das
Dreifache der ursprünglich veranschlagten Summe belaufen. 1827
behauptete die Gesellschaft, die Baukosten (oder die gesamten Unkosten,
also Bau- und Wartungskosten) hätten 4 Millionen fl. CM ausgemacht.
Nicht nur die Baukosten überstiegen die ursprünglichen Erwartungen,
auch die Wartungskosten erwiesen sich als weitaus höher
als vermutet. Der Kanal war einer starken Verschlammung bzw. Versandung
ausgesetzt und bedurfte ständiger Räumungsarbeiten, um funktionstüchtig
zu bleiben. Sowohl zur Tilgung ihrer Kredite als auch zur Durchführung
der Instandhaltungsarbeiten war es äußerst hilfreich, daß
die AG 1801 auf 25 Jahre (also die Zeit des Kanal-Privilegiums) die
Pacht der Kameralgüter Palanka, Zombor, Kula und Szantova zu äußerst
vorteilhaften Bedingungen erhielt. Dies ermöglichte einerseits
die Rückzahlung der Schulden durch die Erträgnisse der Güter,
aber noch wichtiger war unter den Bedingungen der Leibeigenschaft, daß
die Kanalgesellschaft die Roboten der Bauern für die Kanalarbeiten
verwenden konnte und nicht auf gedungene Arbeiter zurückgreifen
mußte. Dennoch behauptete die Gesellschaft 1825, mit dem Betrieb
des Franzenskanals ein Defizit von 1 Mill.200.000 fl. angehäuft
zu haben.
Dieses fragwürdige Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag
verursachte starke Bedenken bei der Hofkammer, den Kanal nach Ablauf
der Privilegialjahre in Eigenregie zu übernehmen. Die Verantwortlichen
der Kammer erwogen ernsthaft, den Betrieb des Kanals einzustellen.
Davon sahen sie nur deshalb ab, weil der Wohlstand auf den inzwischen
wieder in die Eigenverwaltung übernommenen Güter nach Einschätzung
der Komitatsbehörden vollständig vom Betrieb des Kanals abhängig
war. Interimistisch, wie sie betonte, übernahm die Kanalgesellschaft
ab 1827 weiter die Leitung der Kanal-Angelegenheiten, als Geschäftsführer
der Staatsverwaltung.
Die Besitzverhältnisse des Kanals blieben 14 Jahre lang, bis 1841,
unklar. Der Grund dafür war ein in Folge der Donauregulierung notwendiger
relativ aufwendiger Bau eines Zuflußkanals aus der Donau in den
Franzenskanal, um diesen mit dem nötigen Speisewasser zu versehen.
Die Kosten für diesen Bau versuchte die Kammer auf die ungarische
Verwaltung zu wälzen. Die der ungarischen Reichshälfte zur
Verfügung stehenden Mittel waren jedoch sehr gering, die Regulierung
der Flüsse wurde fast ausschließlich aus dem vom Palatin
Joseph gegründeten Salzauktionsfonds bestritten, der aus einer
Salzsteuer dotiert wurde. Dazu wurden von Komitatsbehörden und
Grundherren Arbeitskräfte gestellt.
Daher wehrte sich der Statthaltereirat mit aller Vehemenz dagegen, diese
im Interesse der Kammer gelegene Reparatur zu übernehmen. Dieser
Durchstich und mit ihm verbundene Arbeiten wurden erst in den 40-er
Jahren vorgenommen, als der Bacser Kanal bereits an die Kammer übergeben
worden war.
Während die Kanalgesellschaft und die Hofkammer sowie die ihr untergeordneten
Behörden bis 1826 gleichermaßen bejammerten, daß der
Betrieb des Kanals selbst ein Verlustgeschäft sei, scheint sich
die Lage im Lauf der Zeit verbessert zu haben: Ein Inspektor der Kammer
behauptete 1831, der Kanal rentiere sich sehr gut. 1836 war die Rede
von einem jährlichen Ertrag von 40.000 fl. Nicht nur
die steigenden Erträge, sondern auch die strategische Bedeutung
des Kanals, der die Versorgung der Erblande aus den Getreideanbaugegenden
Südungarns bedeutend erleichterte, bestimmten die Kammer, den Kanal
zu übernehmen.
Der Bacser Kanal erfüllte übrigens nicht nur als Wasserstraße
wichtige Aufgaben wie die Verkürzung der Transportrouten der über
die Theiß Richtung Pest und Wien transportierten Güter und
die wesentlich vereinfachte Verschiffung des Getreides von Banat und
Bacska in diese Metropolen. Er diente auch der Regulierung des Grundwasserspiegels
dieses Teils der Tiefebene und der Entwässerung von in seiner Nähe
gelegenen Sümpfen. Angeblich sollen durch seinen Bau 120.000 Morgen
Land erst urbar gemacht worden sein.
Die genaue Finanzierung des Baues ist nicht bekannt. Es mag sein, daß
das lange Zeit als Hausbank der Staatsverwaltung fungierende und 1826
in Konkurs gegangene Bankhaus Fries einer der Kreditgeber der Kanalgesellschaft
war. Ob Georg Sina im Zuge des Friesschen Konkursverfahrens oder
später aus anderen Gründen über die Belange des Kanals
informiert wurde, läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Tatsache
ist jedoch, daß er 1841, in der Auflösungsphase der Kanalbau-AG,
Aktionär des Franzenskanals war. Er wußte also über
die ökonomischen Schwierigkeiten eines solchen Kanalbaus genau
Bescheid, als er zusammen mit Széchenyi den Donau-Theiß-Kanal
plante.
Der Franzenskanal, der später noch ausgebaut und
mit einem Seitenarm nach Novi Sad versehen wurde, heißt heute
Donau-Theiß-Donau-Kanal. Er wird für den Transport landwirtschaftlicher
Güter verwendet, ferner dient er der Be- und Entwässerung
der Bacska. Seine Bedeutung für die Wirtschaft und das hydrologische
Gleichgewicht der Vojvodina ist unumstritten.
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gemeinsam mit András Antal Deák,
PETER LANG VERLAG 2002
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