EINLEITUNG:
DER KAUFMANN ALS AGENT DES WERTS

Die Kaufleute aller Epochen gaben und geben sich einer sehr eigentümlichen Tätigkeit hin: Sie kaufen, um zu verkaufen. Sie erwerben eine Ware nicht, um sie selbst zu benützen oder zu konsumieren, sondern um sie mit Aufpreis an andere weiterzugeben. Sie interessiert der Gebrauchswert der Dinge, mit denen sie handeln, herzlich wenig: Wofür ein Gegenstand taugt und von welcher Qualität er ist, ist für den Händler nur unter dem Gesichtspunkt von Bedeutung, als er die Verkäuflichkeit dieses Gegenstandes beeinträchtigt oder befördert.
Die Lage der Produzenten der einzelnen Waren und die Art ihrer Herstellung ist ihnen auch relativ gleichgültig. Sie machen Mangel und Not einerseits und Überschüsse andererseits gleichermaßen für ihre Ziele nutzbar. Der Erwerb der Waren durch den Kaufmann kann durch unmittelbare Aneignung, Raub, genauso erfolgen wie durch Tausch – der Verkauf geht auf jeden Fall nur als Tauschgeschäft über die Bühne. Der Käufer muß irgendeinen Gegenwert anbieten, um in den Besitz der Ware zu kommen. Das Prinzip, daß das Bedürfnis allein gar nichts gilt, sofern der Interessent nicht seinerseits etwas anzubieten hat, wird von den Kaufleuten verkörpert und ihrer Kundschaft aufgenötigt. Dadurch, daß das begehrte Gut nur gegen Gegenwert übergeben wird, erhält es überhaupt einen abstrakten Wert, der ihm selbst zunächst gar nicht innewohnt: Dieser Wert wird in der anderen, für sie eingetauschten Ware ausgedrückt. Wenn für einen goldenen Ring 5 Biberfelle verlangt werden, so ist das eben der Preis und in diesem Falle daher der Wert des Ringes.
Bei der Festlegung des Austauschverhältnisses hat der Händler um so größere Freiheiten, je weniger der Tausch in einer Gesellschaft üblich ist. Gegenüber Produzenten, die für sich und ihre nähere Umgebung erzeugen, kann er den Wert einer Ware nach seinem Belieben ansetzen. Je weniger ein Bauer, ein Nomade seine Produkte für den Tausch oder Verkauf herstellt, desto geringer ist aber auch sein Interesse daran, sie an den Händler zu veräußern. Dem erhöhten Gewinn oder Nutzen eines Kaufmannes bei einer einzelnen Transaktion in Gebieten und Gesellschaften mit Subsistenz steht ein geringer Umsatz an Waren gegenüber. Quantität und Gewinnspanne der Verkäufe werden also von der Produktionsweise bestimmt, der sich der Händler bei seiner Tätigkeit gegenübersieht. Erst wenn diese Tätigkeit einen bestimmten Umfang übersteigt, kann von einem Markt als Ort oder Zone des regelmäßigen Warenaustausches gesprochen werden.
Wenn in einer Gegend, einem Land immer mehr Gegenstände als Waren, d.h. zum Zwecke des Verkaufs erzeugt und auch erworben werden, so findet der Händler ein reiches Betätigungsfeld. Er trifft aber auch im verstärkten Maße auf seinesgleichen und muß mit ihnen bei der Festsetzung des Austauschverhältnisses konkurrieren. So pendelt sich ein mehr oder weniger fixer Preis, der für eine Ware verlangt oder gezahlt wird, ein. Spätestens dann entsteht das Bedürfnis, ein allgemein gültiges Wertmaß für die einzelnen Güter, die hier und dort veräußert werden, zu finden. Einen Träger von Wert, der überall anerkannt wird und überall als Zahlungsmittel eingesetzt werden kann, weil alle Verkäufer interessiert daran sind, dieses Zahlungsmittel zu erhalten.

Dieses Zahlungsmittel schaffen die Kaufleute zwar nicht, sondern diejenigen Gewalten, die die Oberhoheit über die Territorien haben, auf denen die Händler ihrem Geschäft nachgehen. Aber die findigen Vermittler zwischen den verschiedenen Käufern und Verkäufern bedienen sich dieses Zahlungsmittels, überschreiten damit Landesgrenzen, vermitteln und verbreiten es über das beschränkte Territorium hinaus, auf dem es per Gesetz ohnehin zu gelten hat. Die Kaufleute sind also nicht nur die Agenten des Wertes, sondern auch die Anwender, oft sogar die Monopolisten des Geldes, das sich in ihren Händen ansammelt.
Damit treiben sie dann nach Bedarf Handel eigener Art: Sie benützen das Zahlungsmittel nicht nur für Erwerb und Vertrieb von Waren, sondern behandeln es selbst als Ware: Sie handeln mit verschiedenen nationalen Geldern, machen sich den Bedarf nach fremden Münzsorten zunutze, die nur sie dem Reisenden, den in fremdem Gebiet sich aufenthaltenden Kriegsherren, den Vertretern ausländischer Mächte zu einem gegebenen Zeitpunkt verschaffen können.
Auch die Geldnöte der verschiedenen Gesellschaftsschichten machen sich die Händler zunutze, wenn sie sich als Geldhändler betätigen: Sie versorgen ihresgleichen, andere Kaufleute, mit Bargeld oder Wechseln, wenn diesen ein vorübergehender Mangel an Zahlungsmittel ein lohnendes Geschäft zu verhindern droht. Gegen einen kleinen oder auch größeren Aufschlag schießen sie hohen Herren Geld vor, wenn sie für Krieg oder aufwendige Geschenke einmal schnell etwas Bargeld benötigen. Regierungen geraten des öfteren in die Lage, für ähnlich geartete Ziele auf das Vermögen des Handelsstandes zurückzugreifen. Auch der kleine Mann benötigt manchmal geschwind Geld, um akute Notlagen, die Mißernten oder Todesfälle hervorrufen können, zu überbrücken, und er muß genauso wie höhergestellte Schuldner dafür einen Aufpreis, den Zins, entrichten.
Bei solchen Tätigkeiten sammelt sich mit der Zeit das bewegliche Vermögen eines Landes, einer Provinz in den Händen derjenigen an, die sich dem Ziel, ihr Vermögen zu vergrößern, als Beruf verschrieben haben. Dieser Beruf stellte lange Zeit eine Ausnahmeerscheinung dar, gegenüber einer Umgebung, die sich entweder sehr genügsam dem bloßen Verzehr ihrer Erzeugnisse widmete oder sich dem Kriegshandwerk verschrieb, um die Produkte fremden Arbeitsfleißes durch unmittelbare Aneignung dem eigenen Konsum zugänglich zu machen: Kaufleute trieben ihre Geschäfte in China und im Orient, in der Antike und im europäischen Mittelalter, ohne durch ihre Tätigkeit und ihre Erfolge die restlichen Bewohner dieser Gegenden zur Nachahmung zu veranlassen.
Die Kaufleute bedienen sich der Umstände, die sie vorfinden, aber sie sind auch Verursacher von Abhängigkeiten: Sie wecken Bedürfnisse nach Waren, die es an einem Ort vorher nicht gab und erhöhen damit auch die Notwendigkeit, zum Erwerb dieser Güter selbst eintauschbare oder verkäufliche Dinge herzustellen, um in den Besitz des Zahlungsmittels, des Geldes, zu gelangen, das allein wieder den universellen Zugriff auf Waren ermöglicht. Damit wird es für die Produzenten notwendig, einen Überschuß über ihren eigenen Bedarf zu erzeugen, mit dem der Warentausch bzw. Einkauf erst in die Wege geleitet werden kann. So wirkt die Tätigkeit des Händlers anspornend, aber auch zerstörerisch auf überkommene Formen der Produktion, auf solche nämlich, die einen solchen Überschuß entweder gar nicht oder nur auf Kosten ihrer unmittelbaren Notwendigkeiten hervorzubringen vermögen. Dieser Wirkung des Handels ist übrigens immer wieder durch Gewalt nachgeholfen worden, durch Raub, Drohungen, Handelsverträge zwischen Staaten usw.: Kaufleute waren und sind die Vorläufer und Vollstrecker von Eroberung und Kolonisation, sie tragen ihren nicht unwesentlichen Teil dazu bei, daß die von Regierungen erzwungene Unterordnung fremden Territoriums und seiner Bewohner auch faktisch vollzogen wird. Da ihr Interesse aber nicht automatisch dasjenige ist, das ihre jeweiligen Schutzherren bewegt, so kann es auch manchmal vorkommen, daß sie letzteren in die Quere kommen.

Die Kaufleute sind also einer der Faktoren, die die Vorherrschaft des Geldes in einer Gesellschaft befördern und vorantreiben. Wenn sich ihr Prinzip – kaufen, um zu verkaufen, und verkaufen, um zu kaufen – in einem Landstrich durchsetzt, zum die Produktion beherrschenden Prinzip wird, so kann es geschehen, daß der eine oder der andere Händler die Sphäre wechselt und einen Teil seines Vermögens in die Produktion investiert. Er versucht also nicht mehr nur, seinen Gewinn durch bloße Vermittlung der Waren zu machen, sondern durch Anwendung fremder Lohnarbeit im Produktionsprozeß: Viele Manufakturen wurden von Personen gegründet, die ihr Vermögen im Waren- und Geldhandel erworben hatten, und dadurch über das nötige Kapital verfügten, das für die anfängliche Investition in einen solchen Betrieb erforderlich war. Dabei wägt der Kaufmann ab, ob dieser Umstieg in die Produktion seine Gewinnchancen verbessert oder nicht, und deswegen kann dieser Schritt auch unterbleiben, wenn die Aussichten für Manufaktur- oder Fabriksbesitzer nicht so gut sind.

Diese Umwandlung von Handelskapital in produktives Kapital – oder genauer gesagt, ihre Unterlassung –, ist von den ungarischen Historikern immer wieder hervorgehoben worden. Der „Kaufmann als Vorläufer des Kapitals“ habe in Ungarn seine Rolle schlecht bis gar nicht erfüllt. Auf diesen Umstand weisen u.a. Gyula Mérei, Sándor Gyömrei, László Schäfer und Ödön Füves hin. Sie geben dafür mannigfache Gründe an: Die österreichische Politik gegenüber Ungarn, die Türkenherrschaft, schließlich den Umstand, daß die Kaufleute im 18. und 19. Jahrhundert Fremde waren, deren Interessen sich auf ihre Heimat außerhalb der Landesgrenzen Ungarns richtete. Das mag alles stimmen, verkehrt ist nur der ganze Ausgangspunkt, nämlich der teleologisch gefaßte Begriff der „Rolle“, als handle es sich um eine Verpflichtung gegenüber der Nation und der Nachwelt, der die einzelnen Subjekte nachzukommen hätten. Die Kaufleute aller Zeiten wissen nichts von einer solchen Verpflichtung: Sie vergleichen die verschiedenen Möglichkeiten, aus ihrem Vermögen mehr zu machen, besinnen sich auf die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und bleiben entweder bei ihrem Geschäft, oder versuchen sich in einer anderen Späre.
Bei den Handelsleuten nicht nur Ungarns, sondern auch der übrigen Gebiete der Monarchie läßt sich eher der Erwerb von Immobilen beobachten, wenn sie ihr Vermögen außerhalb des Handels unterbringen wollten, als daß sie sich als Gründer von Manufakturen hervorgetan hätten – bei letzterem rechneten sie sich offensichtlich keine guten Chancen aus.

Besitzer des allseits begehrten Zahlungsmittels, Vermittler fremden Reichtums in allen Formen, Beförderer des Handels und der Produktion: So stellen sich die Kaufleute an der Schwelle zum Kapitalismus dar.

 

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