Das Grundeigentum und die Wohnungsfrage
1. Allgemeine Überlegungen zum Grundeigentum 2013 Wohnen ist ein Grundbedürfnis, um das sozusagen keiner herumkommt. Gleichzeitig ist die Welt aufgeteilt in Grundbesitzer und solche, die kein Grundeigentum haben. Das heißt, daß die, die keinen Grund besitzen, den anderen etwas zahlen müssen, um überhaupt einen Platz zu haben, wo sie leben können. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß die Konjunkturlokomotive der EU eigentlich der Immobiliensektor war und ist, daß manche Volkswirtschaften völlig von diesem Sektor abhängig waren und sind, und daß damit das einfache Wohnbedürfnis der Normalverbraucher, also der Eigentumslosen, zum Spielball der verschiedensten Interessen geworden ist. Während zu Zeiten des Kalten Krieges in Österreich der soziale Wohnbau für die Behausung eines guten Teils der Bevölkerung sorgte und in den sozialistischen Staaten die Staatspartei ihre Bürger nach Möglichkeit in Plattenbauten und ähnlichen modernen Gebäuden unterzubringen versuchte, wehte z.B. in Deutschland oder Großbritannien bereits ein anderer Wind, wo „marktübliche“ Mieten oder Hypothekarkredite mit langen Laufzeiten fürs Eigenheim das Wohnbau-Szenario prägten. Inzwischen hängen je nach Land immer größere Teile der Gesellschaft am Tropf des Immobilienmarktes. Gemeinden finanzieren sich über Umwidmungen, Grundverkäufe, Grundsteuern und Grunderwerbssteuern. Die Armee und die Bundesbahnen versuchen, über den Verkauf von Grundstücken zu Geld zu kommen, und letztere haben auch versucht, selbst ins Baugeschäft zu kommen. Arbeiter aller Länder fanden und finden im Baugewerbe Arbeit. Was den Wohnbedarf der Leute betrifft, so wurden seit 1990 die Bestimmungen für Hypothekarkredite gelockert und damit den Banken ein weites Geschäftsfeld erschlossen. Der klassische Häuslbauer, der nach der Arbeit und am Wochenende mit Verwandten und Freunden sein Eigenheim hochzieht, ist eine aussterbende Spezies: heute kauft der künftige Eigenheimbesitzer schlüsselfertige Wohnungen und Häuser und stottert dann ein paar Jahrzehnte den dafür aufgenommenen Kredit ab. Sofern seine Einkommensverhältnisse das hergeben – ansonsten ist er/sie in die „Schuldenfalle getappt“, wie das heute gerne genannt wird. Auf diese Art wird Kredit in den Immobilienmarkt gepumpt, die Eigentumsoption gegenüber der Miete in den Vordergrund gerückt und die Bauindustrie mit Aufträgen versorgt. Das (trügerische) Gefühl, Eigentümer zu sein, erfüllt den Bewohner mit Stolz und läßt ihn völlig auf den Interessensgegensatz vergessen, der ihn und die Bank zu einer Zwangsgemeinschaft verbindet. Der Immobilienboom wird also vom Kreditsektor finanziert, aber auch vom Vertrauen in das Steigen der Preise und die Stabilität der Einkommen getragen. Letztlich hält der Glaube, daß die Preise steigen werden, das Ganze aufrecht. Wenn der aus irgendwelchen Gründen Schaden leidet, so geht ein gegenteiliger Trend los, die Preise fallen, der Kredit kontrahiert sich und Schulden werden nicht mehr bedient. In Österreich baut sich derzeit gerade eine Immobilienblase auf. Zu den steigenden Preisen, dem gesteigerten Interesse am Eigenheim und den bereitwillig erteilten Krediten gesellen sich auch die unvermeidlichen Herolde des Immobilienmarktes: Experten und Analysten, die darauf hinweisen, daß die Immobilienpreise auf lange Sicht auf jeden Fall steigen; und Anlageberater, die meinen, in Zeiten der Krise sollte man unbedingt auf etwas Sicheres setzen, wie z.B. Immobilien. Diese Meinungen hallen auf Stammtischen und in Internet-Foren und Postings wieder, und ein Teil der Bevölkerung geht auf Schnäppchensuche und kauft sich irgendein Stück Grundeigentum. In unserem Nachbarland Ungarn ist die Blase vor einigen Jahren geplatzt.
2. Das Entstehen und Vergehen des Immobilienmarktes in Ungarn Die ganzen 90-er Jahre wollte sich in Ungarn kein richtiger Immobilienmarkt entwickeln. Es fehlte einfach am nötigen Kleingeld. Ein paar ausländische Firmen, die sich dort niederließen, machten das Kraut nicht fett. Die Altbausubstanz verfiel, weil die neuen Eigentümer – die Gemeinden übertrugen staatliches Mieteigentum an die Bewohner – kein Geld für die Instandhaltung hatten. Ein beliebtes Mittel, sich zu verbessern, war der Wohnungstausch. Manche beschafften sich Geld durch Verwandte aus dem Ausland, um sich eine Wohnung zu kaufen. Unter der ersten Regierung Orbán (1998-2002) wurde für junge Familien ein Kreditstützungsprogramm für den Erwerb eines Eigenheims gestartet. Man konnte also, wenn man einen Hypothekarkredit aufnahm, von staatlicher Seite eine Unterstützung beantragen. Dieses Programm befriedigte niemanden, weil die Bedingungen sehr restriktiv waren und daher nur ein kleiner Teil der Antragssteller in den Genuß dieser Maßnahme kam. Dennoch belastete es das Budget. Nach dem Wahlsieg der MSZP 2002 war eine der ersten Maßnahmen die Kündigung dieses Programms. Mit dem EU-Beitritt 2004 änderte sich das, und die Fremdwährungskredite erschienen als Lösung für die Kreditklemme. Die Leitzinsen in Ungarn schwankten in dieser Zeit – von 2004 bis 2008 – zwischen 5 und 11,5%. Nicht nur die Höhe war beachtlich, auch die Schwankungen, die in den Hypothekar- und sonstigen Krediten den Kreditnehmern aufgebürdet wurden. Der Schweizer Franken hingegen erschien mit seinem stabilen 1% Zins als eine ideale Lösung. Mit der Finanzkrise 2008 benötigte Ungarn ein Hilfspaket des IWF, um zahlungsfähig zu bleiben. Der Forint sackte gegenüber dem Euro und dem Franken ab. Die Kreditsumme der in Franken aufgenommenen Privatkredite wuchs, und ebenso die Kreditraten. Dennoch wurden weiter Frankenkredite vergeben und aufgenommen, obwohl die Zahl der notleidenden Kredite anstieg. Sowohl die – größtenteils österreichischen – Banken als auch die wohnraumhungrige ungarische Gesellschaft wollten nicht wahrnehmen, daß der Traum von Wachstum und Prosperität zu Ende war. Ende 2011 hat die ungarische Regierung ein Gesetz beschlossen, demzufolge die Franken-Schuldner ihre Kredite zu einem günstigeren als dem aktuellen Kurs in Forint-Kredite umwandeln konnten. Bedingung dafür war, den Kredit sofort abzuzahlen. Die Kreditnehmer mußten also irgendwo einen Forint-Kredit aufnehmen, um den Frankenkredit abzuzahlen. Diese Maßnahme wurde von den Banken akzeptiert, weil es für sie die einzige Möglichkeit war, überhaupt Geld von vielen dieser Kreditnehmer zu sehen. Die Verluste, die für die Banken anfielen, wurden zu 2 Drittel von ihnen, zu einem Drittel vom ungarischen Staat getragen. Das bedeutete immerhin eine Belastung von mehr als einer Milliarde Euro für das ungarische Budget. Der Andrang war endenwollend. Angeblich machte ungefähr ein Viertel der Betroffenen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Erstens mußte man ja einmal das Geld von irgendeiner Bank erhalten, oder über sonstige Quellen aufstellen. Zweitens akzeptierte der Kreditnehmer damit die erhöhte, durch Wechselkursverluste und Verzugszinsen bis zum Eineinhalbfachen des ursprünglich aufgenommenen Kredits angewachsene Summe. Drittens muß er vom Zeitpunkt der Konversion zusätzlich zu den Tilgungsraten den Zins gemäß des Forint-Leitzinses bedienen, der derzeit bei 5,3% steht. Die Frage der Leitzinsen hat 2012 zu einer Konfrontation zwischen Regierung und Notenbank geführt, weil das Programm der Schuldenkonversion eben zu einem Teil an der Höhe der Kreditzinsen scheitert.
In den österreichischen Medien wird diese ganze Entwicklung als ein Ergebnis der angeblich verfehlten Politik der Regierung Orbán dargestellt, im Verein mit mangelnder Zahlungsmoral „der Ungarn“. An vorderster Front steht hierbei der Standard, gefolgt von Profil, Krone und ORF. Die einzige größere Zeitung, die sich um einen etwas objektiveren Tonfall bemüht, ist die Presse. Eine sehr bedenkliche Entwicklung, die EU-weit zu beobachten ist. Der Nationalismus der Leser/Hörer wird angesprochen und aufgeheizt, um über die schädliche Natur unseres Wirtschaftssystems hinwegzutäuschen. ________________________________________________ (3) Es ist inzwischen allerdings auch üblich, daß die Fidesz-Regierung alle Websiten staatlicher Institutionen manipuliert und löscht, um ihre eigene Rolle – auch als Opposition – in reinstem Lichte erscheinen zu lassen und in diesem Falle z.B. jede Mitverantwortung für die Genehmigung der Fremdwährungskredite von sich zu weisen. (4) Jegyzőkönyv az Országgyűlés Alkotmányügyi, igazságügyi és ügyrendi bizottsága 2002-2010 köztti lakossági devizaeladósodás okainak feltárását, valamint az esetleges kormányzati felelősséget vizsgáló albizottságának … üléséről
Dieser Artikel erschien in Wienzeile – Supranationales Magazin Nr. 65 – „Bauzaungäste“ – im September 2013. |