2. Die ersten Aktiengesellschaften in Ungarn Die ungarische Rechtssprechung kannte bis zum Jahr 1840 den Begriff der Aktiengesellschaft nicht. Alle Arten von Vereinigungen zu kommerziellen Zwecken waren durch rechtliche Unklarheiten von vornherein unsichere Unternehmungen. So war für den Fall einer Auflösung weder die Aufteilung des Vermögens noch diejenige etwaiger Verbindlichkeiten geregelt. Solche Zusammenschlüsse waren daher überhaupt selten und gingen kaum über Familienunternehmen hinaus. Als der Pester Tabakhändler József Deyák 1826 einen Plan für eine Aktiengesellschaft für den Tabakhandel entwarf, und dieser Plan 1830 von der Handelsdeputation des ungarischen Reichstages untersucht wurde, kamen deren Mitglieder zu dem Schluß, daß nicht nur Deyáks Plan zu verwerfen sei, sondern daß in Ungarn überhaupt die Voraussetzungen für Aktiengesellschaften fehlten: „Solange es in Ungarn kein Handels- und Wechselgericht gibt, können dergleichen Vereinigungen kaum ins Leben treten.“(1)
1.) Die ersten gescheiterten Versuche zur Gründung einer DDSG auf Aktienbasis Ein Versuch zur Gründung einer Donaudampfschiffahrtsgesellschaft als Aktiengesellschaft wurde von Anton Bernhard, dem Inspektor der ärarischen Zollbrücke in Eszék (Osijek, Kroatien) unternommen: Der Kapitalmangel in Ungarn stellte auch noch Anfang der 30-er Jahre ein ernstes Hindernis für jede Art von Investition dar. Als die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft nach den ersten mißglückten Versuchen 1829 neu gegründet werden sollte, wollte der für dieses Unternehmen Hauptverantwortliche, Geymüller, den Pester Großhändler Friedrich Kappel mit der Aufgabe betrauen, das Zeichnen von Aktien in Ungarn zu bewerben.
2.) Die Kettenbrücke Der erste Versuch der Beschaffung von Geld mittels Aktienausgabe in Ungarn selbst war die Kettenbrücken-Gesellschaft. Obwohl von den ersten Plänen über die Debatten im ungarischen Reichstag und dem Gesetzes-Artikel aus dem Jahre 1836, der die Errichtung dieser Brücke verfügte, bis zur Gründung der Gesellschaft und der eigentlichen Aktien-Ausgabe viele Jahre vergingen, soll sie doch als erste Aktiengesellschaft Ungarns gelten. Die erste feste Donaubrücke der Neuzeit sollte die Schiffsbrücke ersetzen, die bisher die Städte Buda und Pest verbunden hatte. Diese Schiffsbrücke wurde im Winter eingestellt, da damals, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Donau jährlich gänzlich zufror. In der Zeit zwischen dem Einziehen der Schiffsbrücke und dem vollständigen Zufrieren war die Donau praktisch unpassierbar, da wegen des Treibeises auch keine Fähre verkehren wollte. Széchenyi wollte einmal in dieser Zeit hinüber und beschloß angesichts der Schwierigkeiten, auf die er dabei stieß, daß hier eine feste Brücke her gehöre. Für den Bau der Brücke gewann Széchenyi den Erbauer einiger Themsebrücken, den Architekten William Tierney Clark, für die Finanzierung den Wiener Bankier Georg Sina. Das notwendige Kapital für den Bau der Brücke sollte teilweise von Sina selbst, teilweise von einer zu gründenden Aktiengesellschaft aufgebracht werden. Nach langen Debatten beschloss der ungarische Reichstag den Gesetzesartikel, in dem die gesetzlichen Grundlagen für den Bau dieser Brücke geschaffen wurden, da die Zahlung der Brückenmaut in Gesetzesrang erhoben wurde. Art. XXVI/1836, § 2: „Jeder hat Maut an der zwischen Buda und Pest auf Kosten einer Aktiengesellschaft erbaut werdenden Brücke zu zahlen.“(4) So heißt es in dem Vertrag, den Sina mit der Stadt Pest und dem Palatin im Jahre 1838 schloss: „ … ist der Unternehmer verpflichtet, mit einer unter seiner Leitung zu bildenden Actien-Gesellschaft, eine für alle Bedürfnisse und Lasten berechnete Brücke … zwischen Ofen und Pest … auf eigene Kosten zu erbauen …“(5) Die Rückzahlung der vorgeschossenen Geldsumme sollte durch besagte Brückenmaut erfolgen. Nach Ablauf von 97 Jahren, innerhalb derer diese Maut von der Aktiengesellschaft eingehoben werden durfte, würde die Brücke in das Eigentum „der Nation“ übergehen. Zusätzlich wurde „der Unternehmer“, also Sina, verpflichtet, einen Reservefonds für etwaige Beschädigung anzulegen. Es wurde festgelegt, „bei Eröffnung der Brücke sogleich 100.000 Gulden in Conventions-Münze der Staatsverwaltung auszuweisen und fortwährend in Evidenz zu halten, wovon die Zinsen so lange akkumuliert werden, bis die besagte Summe eine Million Gulden in Conventions-Münze erreicht haben wird, wo sodann die Summe während der Dauer der Vertragsjahre als Reservefonds dienen wird, dergestalt jedoch, daß die Zinsen davon in der Zwischenzeit der Actien-Gesellschaft zu Gute kommen, nach Verlauf der Vertragsjahre aber das ganze Kapital auf dieselbe zurückfallen soll.“(6) Falls die Zinseszinsen auch berechnet werden, beträgt die Zeit, in der das Reservekapital die Höhe von einer Million Gulden erreicht, 40 Jahre. (Es ist wahrscheinlich, daß so gerechnet wurde, andernfalls, ohne Zinseszinsen, macht diese Frist nämlich 150 Jahre aus.) Sobald die Million Gulden erreicht war, sollten die Zinsen der Aktiengesellschaft zur Verfügung stehen. Bezüglich der Aktien-Emission wurde folgende Auflage getroffen: „Der Unternehmer ist verpflichtet, die Hälfte der durch ihn zu emittierenden Aktien (von welcher Hälfte ein Drittheil dem »Wodianer und Gesellschaft« für ihre bei der Beförderung des Unternehmens an den Tag gelegte Mühe und verwendete Auslagen besonders überlassen wurde) den Einwohnern des Königreiches Ungarn und insbesondere den Bewohnern der beiden Städte Ofen und Pest zur beliebigen Theilnahme auf auf sechs Monate zu überlassen; nach Verlauf dieses Termins aber jene Actien, insofern sie nicht vergriffen worden wären, wieder der Verfügung des Unternehmers zuzufallen haben.“(11) Der in Wien und Pest ansässige, vor allem im Tabakhandel tätige Wodianer hatte nämlich eine Gegenpartei gegründet, die ebenfalls diese Brücke bauen wollte, mit einem anderen englischen Brückenbauer, Rennie, hatte aber später davon Abstand genommen und das Széchenyi-Sina-Projekt unterstützt, offenbar unter der Bedingung einer fixen Beteiligung. Die Aktienemission verzögerte sich einige Jahre. Sina besaß (genauso wie Széchenyi) viele Aktien der DDSG und wollte wahrscheinlich aus diesem Grunde die vor allem von Móricz Ullmann, aber auch vielen anderen ungarischen Kaufleuten und Politikern gewünschte sogenannte zentrale oder linksufrige Eisenbahn (von Preßburg über Vác nach Pest) verhindern. Er selbst betrieb den Bau einer rechtsufrigen Bahn und warf auch sein Engagement in Sachen Kettenbrücke in die Waagschale: Würde die linksufrige Bahn gebaut, so versinke Pest in Bedeutungslosigkeit, Vác werde die Rolle Pests als Marktplatz übernehmen und niemand werde mehr die Brücke benützen, wodurch er seine Unkosten nicht mehr aus der Brückenmaut werde decken können, was er im Interesse der Kettenbrücken-Aktiengesellschaft, für die er verantwortlich sei, niemals vertreten könne, usw … Solange nichts entschieden war, weigerte Sina sich, die Entschädigungen wegen des Verdienstentganges durch die Auflassung der Schiffsbrücke zu zahlen, worauf er von der Stadt Pest auf Einhaltung des Vertrages geklagt wurde.(12) Ein weiteres Problem stellten die Ärarial-Gründe in Buda dar, wegen derer er wiederholt Eingaben machte, weil er den Grund benötigte, um die Bauarbeiten auf der Budaer Seite beginnen zu können. „Wir sind mir der Brücke wieder stecken geblieben oder um besser zu sagen, Wir stecken noch immer fest. … Erlauben Eure Königliche Hoheit, daß ich … mich wieder und wieder zu Füßen Eurer Königlichen Hoheit lege“, schreibt Széchenyi im August 1841 an den Palatin und bittet ihn, wegen des Verkaufs der Ärarial-Gründe und der darauf befindlichen Lagerhäuser zu intervenieren.(13) Sie wurden schließlich am 15.3.1842 vom Militär-Ärar um 220.000 fl. CM an Sina verkauft.(14) (Das ursprüngliche Anbot war bei 400.000 fl. CM gelegen.(15)) Während all dieser Querelen kam die Aktienemission nur langsam voran. Die Subskriptionsfrist für die Aktien begann am 1. 8. 1840 und sollte am 1. 2. 1841 enden. Der Entwurf für den Subkriptionsbogen hatte folgenden Text: /Datum/ / Familien- und Taufname In einem Zeitungsinserat rief Sina im Jänner 1841 auf, die gezeichneten Aktien abzuholen, da die Frist, innerhalb derer sie für die Einwohner von Pest und Buda reserviert waren, bereits abgelaufen war.(17) Die Aktien als solche gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, sondern erst Bezugsscheine, die zum Ankauf einer Aktie berechtigten. Die Aktien selbst wurden erst später ausgegeben. Sie mußten vorher von den beiden Initiatoren unterschrieben werden: Wie gesagt, es handelte sich um die erste Aktiengesellschaft Ungarns, und der „größte Ungar“ war manchmal mit seiner Aufgabe etwas überfordert: Die Aktien wurden zu einem Nennwert von 500 fl. ausgegeben.(21) Ein Inserat aus dem „Hírnök“ 1841 nennt die ersten Zeichner der Aktien, unter denen die Mitglieder des provisorischen Komitees gewählt wurden. Es waren dies: Konstantin Gyra, der Bevollmächtigte Sinas in Pest in Angelegenheiten der Kettenbrücke, ferner der Graf Dubraviczky, Salomon Rothschild, Samuel Wodianer und der bei der Donauregulierung beim Eisernen Tor federführende Ingenieur Pál Vásárhelyi. Gezeichnet: György Sina.(22) Nach Széchenyis Aufzeichnungen wurden 10.000 Aktien aufgelegt, bei 500 fl. pro Aktie ergibt das eine Summe von 5 Millionen fl. Es ist wahrscheinlich, daß diese Aktien alle gezeichnet wurden, da sie in den Jahren 1844 und 1845 laut Széchenyi bedeutende Kursanstiege verzeichneten. Vermutlich wurden zu einem guten Teil außerhab Ungarns verkauft. Die einzigen Unkosten, deren Höhe bekannt ist, sind die 420.000 fl. CM an Buda und den Ärar. Wenn man für Pest die gleiche Summe veranschlägt wie für Buda, so ergäbe das 620.000 fl. CM allein für Ablösesummen, ohne die Bau- und Transportkosten. Sina macht in den frühen 40-er Jahren wiederholt Eingaben an die Wiener Behörden, um eine Befreiung von den Einfuhrzöllen für die Baumaterialien zu erhalten.(28) Der Bau der Kettenbrücke scheint dem „Unternehmer“ und auch den anderen beteiligten Bankiers durchaus etwas eingebracht zu haben und zumindest für sie nicht das rein humanistisch und national-fortschrittlich inspirierte Unterfangen gewesen zu sein, als das es in der einschlägigen Literatur so gerne dargestellt wird. Die Behauptung, Sina habe beim Bau der Kettenbrücke Geld eingebüßt,(29) wurde nie mit Fakten untermauert. Vielleicht hat er nur weniger eingenommen als erwartet.
3.) Die Pester Josef-Walzmühle Zu den ersten Aktiengesellschaften in Ungarn gehörte ferner die Pester Walzmühle, später Josef-Walzmühle, die im Jahre 1839 ins Leben gerufen wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Getreide nämlich in herkömmlichen Mühlen zwischen Mühlsteinen gemahlen worden. Bei diesem Verfahren war es zur Trennung von Mehl und Schalenrückständen notwendig, das Getreide vorher zu wässern, sodaß das fertig gemahlene Mehl stets feucht war und daher sehr schnell zu schimmeln begann. Széchenyi wollte das in anderen Ländern bereits übliche Mahlverfahren, bei dem die Körner zwischen Metallwalzen zerrieben wurden, in Ungarn einführen. Die zweite Neuheit bestand darin, daß die Walzen solcher Mühlen mit Dampf angetrieben wurden, nicht wie bisher durch Wasserkraft oder Pferde. Dadurch sollte ein ganzjährlich durchgehender Betrieb möglich gemacht werden. Nach einer Aufstellung der Wertpapiere des Pester Großhändlers Kappel, in der 6 Walzmühlen-Aktien zu einem Nennwert von 8.400 fl. angeführt sind,(30) betrug der Nennwert einer solchen Aktie 1.400 fl. Unter den restlichen Aktionären befanden sich die meisten bedeutenden Pester Großhändler und Fabrikanten. Das solchermaßen aufgebrachte Kapital reichte jedoch gerade dafür aus, die Kosten für den Bau und die Einrichtung der Mühle zu decken, sodaß das Unternehmen bereits vor seiner Eröffnung zahlungsunfähig war. Daraufhin schoß Kappel, der der Kassier der Aktiengesellschaft war, das Geld für den Ankauf von Getreide und Brennmaterialien vor, insgesamt 58.000 fl. CM bis Juli 1840. Infolge der in dieser Zeit außergewöhnlichen Koalition von Adel und Bürgertum konnte sich das Unternehmen halten. In den ersten 20 Monaten ihres Bestehens verarbeitete die Mühle 83.000 Metzen Getreide.(31) Später wurde der Mühle eine eigene Werkstätte angeschlossen. Das Unternehmen war vermutlich lange Zeit ein Verlustgeschäft. Der Bericht von 1843 spricht von Verlusten, die Bilanz weist einen Gewinn aus. In Unkenntnis der Bilanzierungsvorschriften ist es der Verfasserin nicht möglich, diesen Widerspruch aufzulösen. Der Bericht spricht ferner von einem „gelinden Winter“, der zur Folge hatte, daß die Wassermühlen landesweit der Pester Mühle Konkurrenz machten, weil die Flüsse nicht zugefroren waren, dafür aber der Transport durch die Verschlammung der Landstraßen erschwert war. Somit würde zusätzliches Kapital in der Höhe von 6.000 fl. CM erforderlich, um die aufgelaufenen Schulden zu tilgen. Dieser Betrag sollte durch Ausgabe von Prioritäts-Aktien, zu einem Nennwert von 500 und mit 6% verzinslich, aufgebracht werden. Die Bilanzsumme für das Jahr 1843 betrug 436.147 fl. 41 kr. (Siehe Anhang)(32) ______________________________________ (5) Vertrag die Ofen-Pesther Kettenbrücke betreffend, Haus-, Hof und Staatsarchiv, zitiert nach: Laios, S. 312-313. (Dieser Vertrag ist von Sina und dem Palatin Josef unterzeichnet. Da Sina am gleichen Tag – laut MAGYARORSZÁG TÖRTÉNELMI KRONOLÓGIA, II. kötet – einen Vertrag mit der Stadt Pest schloß, so ist anzunehmen, daß es sich um den gleichen Vertrag handelt, der übrigens im Original-Akt der Stadt Pest nicht mehr enthalten ist.) |