3. Die Partialobligationen
1.) Allgemeines
Eine Besonderheit des Kreditwesens im Vormärz stellten die Privatanleihen dar. Mitglieder des österreichischen und ungarischen Hochadels verfaßten eine oder mehrere Hauptschuldverschreibungen, die bei einer staatlichen Institution, meist bei der Nationalbank hinterlegt wurden. Diese Hauptschuldverschreibungen waren von einigen Zeugen unterschriebene Verpflichtungserklärungen des Schuldners – gegen Unbekannt, sie enthielten keine zweite vertragsschließende Partei. Auf diese Hauptschuldverschreibung gab der Schuldner Teilschuldverschreibungen – mit anderem Namen Partialobligationen – heraus, die dann an das Publikum verkauft und gemäß einem bestimmten Tilgungsplan, der vorher festgelegt worden war, abgezahlt wurden. Die Abwicklung des Verkaufs der Partialobligationen und ihre Einlösung laut Tilgungsplan übernahm gegen Provision ein Bankhaus, das dem Schuldner einen Teil der auf der Hauptschuldverschreibung verzeichneten Summe vorstreckte. Wieviel von dieser Summe, die der Schuldner in jedem Fall begleichen mußte, auch an ihn ausgezahlt wurde, ist unbekannt und sicher von Fall zu Fall verschieden. Mit Sicherheit kann nur gesagt werden, daß es nie 100% waren. Wichtig ist, in Ansehung späterer Unregelmäßigkeiten und Mißbräuche, festzuhalten, daß die beteiligten Bankhäuser nur eine organisatorische Rolle bei der Auszahlung der Partialobligationen übernahmen und sich von vornherein gegen jede Art von Garantieforderungen seitens der Gläubiger, also der Käufer der Teilschuldverschreibungen, absicherten.
Privatanleihen wurden von Angehörigen des österreichischen wie des ungarischen Adels aufgenommen. Diese Untersuchung beschränkt sich auf diejenigen Anleihen, die von ungarischen Aristokraten gemacht wurden oder aus anderen Gründen für das ungarische Kreditwesen von Bedeutung sind.
Die Verzinsung der ungarischen Anleihen betrug bis in die 40-er Jahre meistens 6% – den in Ungarn üblichen offiziellen Höchstzins, der jedoch den tatsächlichen Mindestzins darstellte. Bei den sogenannten Lotterie-Anleihen war der Zins sogar etwas höher. Er überstieg damit die Verzinsung aller anderen Wertpapiere, auch die der Staatsanleihen. Der Graf Johann Baptist Batthyány erhielt 1839 beim Bankhaus Steiner eine zu 4,5% verzinsliche Anleihe(1). Erst in den Jahren 1843, 1844, 1846(2) finden sich zu 4% verzinsliche Privatanleihen. Es ist aber festzuhalten, daß dieser Zins der offiziell-nominelle war und mitsamt der an das Bankhaus zu entrichtenden Provision, deren Höhe in allen Fällen unbekannt war, zu zahlen war.
Der große Vorteil dieser Anleihen bestand in der langen Laufzeit der Kredite: Sie betrug 32(3), 41(4), einmal sogar 52(5) Jahre. So ist es erklärlich, daß der Fürst Eszterházy, der in seiner Eigenschaft als Gesandter in England dort sicher zu niedrigerem Zinsfuß hätte Geld aufnehmen können, dennoch die österreichische Privatanleihe vorzog.
Bezüglich der Rückzahlung lassen sich zwei Typen von Privatanleihen unterscheiden: Bei den einen wurden die Partialobligationen auf eine Summe von gewisser Höhe, meist 1000 fl. CM (es kamen aber auch geringere Summen vor, so z.B. 250 fl. und 500 fl. bei einer Anleihe aus dem Jahre 1843(6)) ausgestellt und bei den – im allgemeinen zweimal jährlich stattfindenden – Tilgungen wurde eine bestimmte, durch Los ausgewählte Anzahl dieser Partialobligationen samt den bis zu diesem Zeitpunkt fälligen Zinsen ihrem Nennwert gemäß ausbezahlt, für den Rest wurden die Zinsen gegen Abgabe eines seinerzeit mit der Partialobligationen gekauften Zinsen-Coupons bezahlt.
Die andere, seltenere Art der Privatanleihe war in Form einer Lotterie gehalten. Die Partialobligationen hatten einen sehr geringen Wert, diese Anleihen zielten auf Beteiligung aller, vor allem ärmerer Bevölkerungsschichten. Sie wurden nicht nach ihrem Nennwert ausbezahlt, es erfolgten auch keine regelmäßigen Zinszahlungen, sondern zu jedem Tilgungs-Termin gab es einige Treffer und viele „Nieten“, auf die jedoch noch immer etwas mehr als der Nennwert bezahlt wurde. Als ein Magnat bei dem Bankhaus Hammer und Karis eine Privatanleihe aufnehmen wollte und der Hofkanzlei einen Tilgungsplan vorlegte, bei dem die Nieten nur den Nennwert ausmachten, deckte der LottoDirektor Spaun (im Auftrag Kübecks) den Betrug auf: „Auch erleidet nach dem Spielplane die Mehrzahl der Teilnehmer einen Verlust, woraus für die wenigen Glücklichen die Gewinste gebildet werden“ und errechnet eine Summe von 568.000 fl., die dem „Unternehmer“ selbst als Gewinn verbleiben. Erst als er einen modifizierten Tilgungsplan vorlegte, in dem die beanstandeten Punkte im Sinne des Gutachtens abgeändert worden waren, wurde die Anleihe genehmigt.(7) Diese Anleihen, die wiederholtermaßen von der Lotteriekommission beanstandet wurden, als eine Konkurrenz zur staatlichen Lotterie und somit eine Schmälerung der Einkünfte des Staates aus derselben, stellten ein Privileg dar und wurden meist vom Kaiser persönlich genehmigt.
Schließlich lassen sich bei den ungarischen Anleihen nochmals zwei Typen unterscheiden: Anleihen, die zurückgezahlt wurden und solche, wo dies nicht der Fall war. Davon im folgenden.
Über die mangelnde Zahlungsmoral der ungarischen Adeligen ist in Österreich und in Ungarn, aber auch in den deutschen Fürstentümern viel geschrieben und lamentiert worden. Es handelte sich aber bei den Kreditschwindlern um einen beschränkten Personenkreis, um eine frühe Form des organisierten Betruges. Die Verfasserin ist diesen betrügerischen Operationen nachgegangen und hat versucht, ihr Ausmaß und das Verhältnis, in dem sie zu den restlichen Anleihen stehen, ein für allemal und endgültig festzustellen, um die Fama von der Realität zu scheiden. Zusätzlich werfen gerade diese Anleihengeschäfte ein bezeichnendes Licht auf die Zusammenarbeit oder zumindest das augenzwinkernde Einverständnis von Behörden, Bankhäusern und Adeligen.
2.) Die Anleihen Grassalkovichs
Den Reigen der Partialobligationen sollte ein Mann einleiten, dessen Name im Vormärz beinahe zum Synonym des säumigen Schuldners wurde und der Ungarn den Ruf verschaffte, das „Eldorado der Zahlungsunwilligen“(8) zu sein.
Der Fürst Antal Grassalkovich zu Gyárak begab insgesamt 3 Privatanleihen, und zwar in den Jahren 1820, 1824 und 1825. Dazu muß bemerkt werden, daß er bereits von 1791 bis 1800 einen Konkursprozeß hatte, in dessen Folge das Sequestrum über seine Besitzungen verhängt wurde. Der damals bestellte Sequester war Ferencz Graf Eszterházy. Da in den Schriften zu den Prozessen der 20-er Jahre immer die Rede davon ist, daß der damalige Minister Zichy von 1818 bis 1826 sein „Administrator“ war, so liegt der Schluß nahe, daß Grassalkovich es für sicherer befand, seinen Besitz auf Dauer unter Sequestrum zu belassen, um sich vor seinen zahlreichen Gläubigern zu schützen. Der Fürst war jedenfalls hoch verschuldet und die Privatanleihen in Österreich dienten einzig und allein dem Zwecke der Schuldentilgung in Ungarn. In den Unterlagen zu seinen Konkursprozessen taucht öfter der Ausdruck „antizipativ“ auf – Grassalkovich hat offenbar auf Ernte, noch nicht erhaltene Pacht oder noch nicht verkauftes Vieh als Pfand Kredit aufgenommen.
Die erste Privatanleihe ist am 31.12. 1819 in Preßburg auf eine Summe von 600.000 fl. CM und zu einem Zinsfuß von 6% ausgestellt. Als Gläubiger scheint ein „Verein von Kapitalbesitzern“ auf. Grassalkovich verpflichtete sich, das Geld innerhalb von 6 Jahren in halbjährlichen Raten zurückzuzahlen. Die Auszahlung der Gelder sollte jedoch erst mit 1.1. 1823 beginnen. Der Tilgungsplan sieht die Auszahlung von jeweils 25.000 fl. CM an zwei Terminen jährlich 1823 und 1824, von jeweils 50.000 fl. 1825 und 1826, und jeweils 75.000 fl. CM 1827 und 1828. Er verpflichtete sich zur Zinsenzahlung mittels Coupon gleichzeitig mit diesen Auszahlungen. Die Zahlungen sollten von Grassalkovichs Kassier Mihály Kassay in Zusammenarbeit mit dem Bankhaus Arnstein und Eskeles erfolgen.
Die Hauptschuldverschreibung wurde bei der Nationalbank hinterlegt und es wurden 600 Partialobligationen zu 1.000 fl. ausgegeben. Sie lauteten auf Überbringer. Als Sicherheiten verpfändete Grassalkovich seine Güter Kompölt, Baja, Debrő, Hatvan, Gödöllő und Komjáthy, mitsamt dem fundus instructus, also allen darauf befindlichen Gebäuden und Geräten.
Er betonte in der Hauptschuldverschreibung, das Geld in bar und vollständig erhalten zu haben, verzichtete auf alle ungarischen adeligen Privilegien und unterwarf sich ausdrücklich der niederösterreichischen Landrechte. Außerdem wurde an dieser Stelle noch erwähnt, daß im Falle eines Schuldprozesses die Anerkennung der Forderungen auch nur eines Besitzers einer Partialobligation automatisch die Anerkennung aller anderen Partialobligationen-Besitzer nach sich ziehen müsse. Als Zeugen unterschrieben der damalige Minister Karl Zichy und der Gouverneur der Österreichischen Nationalbank Graf Josef Dietrichstein.
Die Partialobligationen enthalten zusätzlich die Unterschrift von 4 Notaren, die die Intabulation der Schuld in 5 Komitaten bestätigen, und diese Unterschriften werden noch einmal gesondert von den Direktoren der Österreichischen Nationalbank bestätigt: von Dietrichstein, Geymüller und Steiner, am 14. April 1820.(9)
Dieses Anleihegeschäft verströmt geradezu Solidität: ein Fürst mit tausend Titeln als Begeber der Anleihe, ein Minister, drei Bankdirektoren als Zeugen, ein angesehenes Bankhaus mit der Abwicklung betraut.
Zwei Dinge stören bei näherer Betrachtung den Eindruck der Solidität: erstens die Tatsache, daß als Gläubiger nicht das Bankhaus aufscheint, das die Anleihe begibt und abwickelt, sondern eine Briefkastenfirma namens „Verein von Kapitalbesitzern“. Bei demselben erfundenen Verein nehmen auch C. A. Festetics, Alois von Luzsinsky und Josef Adam von Hadik ihre betrügerischen Anleihen auf.(10) Auch bei einer anderen Anleihe scheint jedoch ein solcher „Verein von Kapitalisten“ auf, und zwar bei derjenigen von Ferencz Zichy-Ferraris, der aber seine Verbindlichkeiten stets erfüllt hat.(11)
Aus dem Vorhandensein solcher erfundenen Gläubiger-Vereine läßt sich schließen, daß die Bankhäuser selbst nicht ganz von der Solidität dieser Anleihen überzeugt waren und eine juristische Person in das Anleihengeschäft einführten, um im Ernstfall nicht selbst zur Erfüllung der Verbindlichkeiten herangezogen werden zu können. Sie haben dann auch in den Fällen, in denen die Tilgung der Schulden durch die Herren Adeligen unterblieb, ebenso wie die Nationalbank stets betont, keinerlei Haftung, sondern lediglich eine administrative Rolle in dem Anleihengeschäft einzunehmen.
Wie aus den Konkursprozessen gegen Grassalkovich hervorgeht, waren bei solchen Anleihegeschäften außer den erwähnten Bankhäusern oft sogenannte „Kontrahenten“ im Spiel, die die Anleihe zwischen dem Schuldner und dem Bankhaus vermittelten. Es existierten also rund um ein solches Anleihengeschäft eine Reihe mehr oder weniger geheimer Verträge betreffend die Art, zu welchen Konditionen das Anleihengeschäft über die Bühne ging, wie die Partialobligationen unter die Leute gebracht wurde und wieviel jeder der Kontrahenten für diese Dienste erhielt.
Der zweite Umstand, der – im Nachhinein freilich – Mißtrauen erweckt, ist der späte Beginn der Rückzahlung. 1819 wurde die Anleihe unterzeichnet, ab 1820 die Partialobligationen ausgegeben, aber erst 1823 sollte die Rückzahlung beginnen.
Die zweite Anleihe Grassalkovichs wurde 1824 ebenfalls bei Arnstein und Eskeles aufgenommen und belief sich auf 200.000 fl. CM.
Die dritte Anleihe wurde 1825 abgeschlossen. In dieses Anleihengeschäft waren verwickelt: das Bankhaus Stametz, das die Abwicklung der jährlichen Abzahlungen übernehmen sollte, die Nationalbank, bei der die 5 Hauptschuldverschreibungen über eine Gesamtsumme von 2 Millionen fl. CM hinterlegt wurden; der Pester Großhändler und spätere Gründer der Ungarischen Kommerzbank Móricz Ullmann und das Wiener Bankhaus Wertheimber und Seckstein als Kontrahenten, die bereits bekannten Minister Zichy und Bankdirektor Dietrichstein als Zeugen, und natürlich Grassalkovich selbst. (Es ist anzunehmen, daß es noch andere Kontrahenten gab, so wird öfters ein Ritter von Jölson erwähnt, aber über seine Rolle ist nichts bekannt.) Vor dieser 3. Anleihe Grassalkovichs wurde die Werbetrommel besonders heftig gerührt, und zwar nicht nur in den österreichischen Erblanden, sondern auch in der Schweiz, den deutschen Fürstentümern und Belgien. Es wurde behauptet, seine Güter bestünden nur aus Allodial-Gründen und nicht aus Fidei-Kommiß-Gründen. (Das war eine glatte Lüge, die deswegen verbreitet wurde, weil das Allodium nicht durch die Avitizität vor Pfändung oder Verkauf geschützt war.) Außerdem fiel seine Anleihe in die Zeit des aufgeblähten britischen Staatskredits, wo viele Anleger durch die Geldentwertung der britischen Schuldverschreibungen geschädigt wurden und gerne in vermeintlich soliden, 6%-ig verzinsten Papieren anzulegen bereit waren. „Auch existierten ja bereits ähnliche Partialobligationen desselben fürstlichen Ausstellers von den Jahren 1820 und 1824; ferner bedeutende auf dem nämlichen Wege gemachten Anleihen von anderen hochangesehenen Cavalieren, bei welchen das den Creditoren Versprochene aufs pünktlichste erfüllt wurde.“(12) Es war nicht unbekannt, daß der Fürst bis über die Ohren verschuldet war, man munkelte über „jüdische Wucherer“, in deren Klauen er sich angeblich befand, sowie über „handschriftliche Schulden“ – vermutlich Spielschulden, „Ehrenschuld“, wie es in einer anderen Schrift(13) heißt. Aber das tat offensichtlich seiner Bonität keinen Abbruch – das Argument, er wolle mit dieser Anleihe die anderen Schulden zurückzahlen, war anscheinend dazu angetan, die Leute von der Solidität dieser Anleihe zu überzeugen.(14)
Grassalkovich ließ im Januar 1825 bei der Nationalbank die 5 Schuldbriefe mit der Gesamthöhe von 2 Millionen Gulden CM hinterlegen. Die Schuldscheine waren ebenfalls in Preßburg ausgestellt. Die Grafen Karl Zichy und Josef Dietrichstein unterschrieben als Zeugen. Die Zeugen – der Nationalbank-Gouverneur und der Finanzminister! – (im Falle Zichys seine Erben, er selbst war, als es zur Klage kam, bereits verstorben), erklärten später, an fraglichem Tage gar nicht in Preßburg gewesen zu sein, da ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen sie in Wien festgehalten hätten, und daher sei ihre Unterschrift unter der Schuldurkunde als nichtig zu betrachten!(15)
Als Pfand setzte Grassalkovich wieder die bereits bei der ersten Anleihe genannten Güter ein. Auf diese Schuldbriefe ließ er abermals Partialobligationen mit einem Nennwert von 1000 fl. und zu einem Zinsfuß von 6% ausstellen. Die Tilgung sollte jährlich jeweils am 1. Januar und am 1. Juli erfolgen. Die bei dieser Gelegenheit jeweils auszuzahlenden Gläubiger sollten per Los entschieden werden. Die gesamte Schuld wäre so bis 1840 zurückzuzahlen gewesen. Mit der Abwicklung des Zahlungen betraute er das Bankhaus Stametz & Co. Der Fürst unterwarf sich – wie schon bei der Anleihe von 1820 – der niederösterreichischen Gerichtsbarkeit.
Bis Ende 1826 zahlte er auch dem Tilgungsplan gemäß seine Schulden ab. Gegen Jahresende fielen seine bisher an der Börse beinahe zum Nennwert gehandelten Papiere stark im Kurs, weil der Tod des Zaren Alexander einen allgemeinen Fall der Wertpapiere verursachte. Ab Januar 1827 wurde von Grassalkovich kein Geld mehr ausgezahlt, und zwar auch für die anderen Partialobligationen von 1820 und 1824 nicht. Zunächst berief er sich auf den Tod seines „Administrators“, des Grafen Zichy, das diente aber nur dazu, Zeit zu gewinnen. In der Zwischenzeit beantragte er in Ungarn das freiwillige Sequestrum für seine gesamten Besitzungen und es wurde ihm gewährt. Zu seinem Sequester ernannte er Imre Graf Batthyány. Batthyány war eine einflußreiche Persönlichkeit, er war Kämmerer, geheimer Rat, Obergespan des Komitats Zala, vor allem aber war er Mitglied der Septemviraltafel, der obersten ungarischen Instanz für alle Schuldprozesse.(16) Es ist vermutlich zu einem großen Teil diesem Einfluß Batthyánys zuzuschreiben, daß Grassalkovichs Besitz bis lange nach seinem Tod dem Zugriff der Gläubiger entzogen blieb.
Als Reaktion auf die nicht stattfindenden Zinsen- und Tilgungs-Zahlungen strengten verschiedene Gläubiger Verfahren gegen den Fürsten an, und am 7.10. 1828 bekam einer dieser Gläubiger (übrigens der Partialobligationen von 1820), ein Graf Boul-Schauenstein, von der niederösterreichischen Landrechte das Recht auf eine Summe von 28.000 fl. CM zugesprochen. Das Urteil wäre von den Behörden des Komitats Pest zu vollstrecken gewesen. Die ungarische Hofkanzlei schickte die Verfügung an das Komitat(17), und dieses betraute einen gewissen Pál Barczay mit der Vollstreckung. Dieser erstattete folgenden Bericht an das Komitat: Graf Imre Batthyány, der Verwalter der mit einem Sequestrum belegten Grassalkovich'schen Güter habe ihm eine Erklärung übergeben, in der er um den Schutz des Komitats gegen die Forderungen der Gläubiger ansucht, und zwar mit der Begründung, daß die Partialobligationen gesetzeswidrig seien, da in ihnen der Name des Gläubigers nicht aufscheint. Darüberhinaus seien diese Obligationen nichts als betrügerische Papierfetzen, deren Fälschungscharakter bereits klar aus dem Umstand hervorgeht, daß sie weit unter ihrem Nennwert gehandelt werden.
Diese Erklärung wurde dem Beauftragten des Klägers vorgelegt, der dagegen mit dem Argument Stellung bezog, der Fürst Grassalkovich habe die Echtheit der Schuldscheine dadurch anerkannt, daß er ein Jahr hindurch regelmäßig zurückgezahlt habe. Außerdem verlange das ungarische Recht auf den sogenannten Albas den Namen des Schuldners, nicht aber den des Gläubigers.(18)
Die Stände des Komitats Pest anerkannten zwar der Form nach prinzipiell das Recht der Gläubiger, jedoch „bringt es ansonsten die Gerechtigkeit mit sich, daß diejenigen, die auf fremde Hilfe angewiesen, genötigt sind, und sei es nur auf Zeit, Kredit aufzunehmen und dabei gegen betrügerische Machinationen von Gläubigern, die sich mit dem gesetzlichen Zins nicht zufriedengeben wollen, geschützt werden müssen; und so sie einmal solchen in die Hände geraten, im Gesetz und in den mit seiner Auslegung betrauten Richtern Fürsprecher finden sollten – damit nicht derjenige Schaden, der ihnen aus der Kreditaufnahme erwächst, die Wohltat, die ihnen zumindest auf Zeit durch den Kredit zuteil geworden ist, um vieles übersteigt.“ Da weiters die Forderung des Klägers den Gesetzen des Landes zuwiderläuft, da der Kläger selbst zugesteht, daß der Verkaufspreis der Partialobligationen Schwankungen unterworfen ist, ferner: „Da die Erfahrung lehrt, daß die Ausstellung und Verbreitung, solcher unter dem Namen Partialobligationen in Umlauf gebrachter, weder mit den Gesetzen des Landes noch mit der Gerechtigkeit in Einklang zu bringender und daher zum Schaden des gesetzlichen Geldverleihs dem Betrug der ehrsamen Gläubiger dienender, verpflichtender, von allem Anfang an falscher Schuldbriefe zusehends überhandnimmt, daß sie sogar immer öfter vor Gericht eingeklagt werden – angesichts dessen möge Eure Hoheit geruhen, gnädige und wirkungsvolle Verfügungen zu treffen, um die Forderungen der wegen dieser Art der Partialobligationen Klage Erhebenden, da jene offenkundig von allem Anfang an ungesetzlich sind und folglich dem Prüfstein des Gesetzes nicht standhalten können, gar nicht erst vor den niederösterreichischen Gerichten aburteilen zu lassen, sondern die Kläger vielmehr dahingehend anzuweisen, ihre Forderungen von vornherein in gesetzmäßiger Form abzufassen.“ Der Ansicht der Komitatsbehörden zufolge sei der vorliegende Fall nicht denjenigen zuzuordnen, auf die sich der Artikel 17 aus dem Jahre 1792 (Möglichkeit der freiwilligen Unterwerfung unter eine ausländische Gerichtsbehörde) bezieht. Daher vollstreckten sie die Exekution nicht und erbaten weitere Anweisungen von der Kanzlei.(19) Die ungarische Hofkanzlei wies den Einwand zurück und drängte auf Vollstreckung des Urteils.(20) Daraufhin gab die Komitatsversammlung den Fall an die Gerichtsbehörde des Komitats weiter. Diese schloß sich der Ansicht der Komitatsversammlung an, betonte die Gefahr, die von solchen dem Glücksspiel ähnlichen – tatsächlich hat später die Wiener Lottokomission bei einigen dieser Partialobligationen protestiert – Anleihen der Sache des Kredits überhaupt drohe und ersuchte den Palatin, die Vollstreckung des Urteils in diesem vorliegenden Falle auszusetzen.(21)
Der Prozeß und seine Folgeprozesse, sogenannte „Filial“-prozesse, erstreckten sich über mehr als 20 Jahre. Sie durchliefen alle Instanzen von der Districtual-Tafel für Cisdanubien in Tyrnau über die Königliche Tafel bis hin zur Septemviraltafel. Grassalkovich war bereits lange tot – er starb 1841 –, als seine Gläubiger ein Bittschreiben an den Hofkammerpräsidenten Kübeck richteten, in dem sie ihn baten, seinen Einfluß geltend zu machen, damit sie endlich zu ihrem Geld kämen. Ein Gutachten der Hofkammer aus dem Jahre 1847 rät von einem solchen Schritt ab: Das Anleihen sei eine Privatsache und gehe staatliche Institutionen nichts an. Die Gläubiger werden auf den Rechtsweg verwiesen (ungeachtet der Tatsache, daß sie ihn bereits beschritten hatten). Schließlich kann der unbekannte Gutachter (vermutlich Kübeck selbst) seine Schadenfreude nicht verbergen, daß die Geschädigten, die eine solide Geldanlage in Staatsanleihen verschmäht hatten, jetzt mit ihrer Privatanleihe in Nöten sind, und er meint, solche Vorkommnisse könnten dem Staatskredit nur nützen.(22)
Aus den Prozeßakten geht auch hervor, auf welche Art und Weise Grassalkovich und seine „Spießgesellen“(23) die Partialobligationen unter die Leute brachten. Sie verwendeten sie nämlich als eine Art selbstgedrucktes Zahlungsmittel, mit dem Rechnungen bezahlt und Schulden getilgt wurden. So hat Grassalkovich die bei seinem Wiener Schneidermeister Josef Lind aufgelaufenen Schulden in der Höhe von 90.000 fl. CM zunächst anerkannt, diese Schuld wurde auch 1820 im Komitat Preßburg intabuliert und ein Abzahlungsmodus vereinbart: 25.000 fl. WW plus Zinsen in halbjährlichen Abständen, bis Oktober 1826 abzuzahlen.(24) Über diese halbjährlichen Summen hat Grassalkovich anscheinend richtige Schuldbriefe ausgestellt, diese später jedoch gegen Partialobligationen ausgetauscht. Als aufgrund der Ereignisse die Solidität der Partialobligationen zweifelhaft wurde und der Schneider auf Zahlung drängte, bestellten Grassalkovich und Batthyány ihn nach Gödöllő und boten ihm einen Ausgleich an: Sie erklärten sich bereit, 40% der Schuld zu bezahlen, wenn er auf den Rest verzichten würde. Lind hat abgelehnt und sich wenig später in geistiger Umnachtung das Leben genommen. Er wurde von den ehrlich entrüsteten Mitgliedern des Gläubiger-Vereins unter die „Opfer“ Grassalkovichs gerechnet.(25)
Ähnlich hat Grassalkovich anderen Gläubigern Partialobligationen gegen alte, intabulierte Obligationen, die eingeklagt hätten werden können, eingetauscht. Einer dieser Gläubiger, der Preßburger Kaufmann Bernhard von Wachtler, verlor einen Schuldprozeß gegen ihn mit der Begründung, daß Grassalkovich ihm die alte Obligation al pari abgelöst habe.(26) Er habe ihm also gegen einen Schuldschein andere Schuldscheine, auf die gleiche Summe lautend gegeben, darin sei nichts Betrügerisches zu entdecken. In diesen Urteilen der ungarischen Gerichte (auch dieser Prozeß ging bis zur Septemviraltafel) werden die Partialobligationen sehr wohl als Schuldscheine anerkannt, während sie in anderen Gläubigerprozessen als den ungarischen Gesetzen unbekannte, betrügerische Zettel abqualifiziert wurden.
Anderen ließ Grassalkovich durch seinen Kassier Mihály Kassay Partialobligationen „in Kommission“ geben, und erhielt dafür etwas mehr als die Hälfte ihres Nennwerts. Diese Gläubiger ließen diese Partialobligationen dann zirkulieren wie einen Wechsel, wie z.B. der Wiener Großhändler Boghsch. Erst als einer der Cessionäre auf Bezahlung drängte, platzte dieser „Wechsel“ und Boghsch geriet auch unter die Grassalkovich-Geschädigten.(27)
Ähnlich bei Geymüller: Dort hatte Grassalkovich seine eigenen Partialobligationen (80 Stück) als Deposit hinterlegt und darauf 48.000 fl. aufgenommen. Diese Schuld, die auch im Konkursprozeß Geymüllers zur Sprache gekommen ist, wurde von den ungarischen Gerichten sogar anerkannt, aber die Vollstreckung dieses Urteils wußten Grassalkovich und Batthyány zumindest bis 1842 zu verhindern.
Außerdem tauschte Grassalkovich alte gegen neue Partialobligationen. Dem Bankhaus Arnstein und Eskeles übergab er auf nicht ganz klare Art und Weise (er scheint auch Bargeld erhalten zu haben) Partialobligationen aus der Anleihe von 1825 gegen solche aus den älteren Anleihen, die bei ihnen stattgefunden hatten, sodaß auch dieses Bankhaus unter den Grassalkovich-Geschädigten aufscheint. Es kann sich aber bei dieser Episode um einen Kunstgriff des Bankhauses handeln, das einfach irgendetwas erfand, um nicht der gemeinsamen Sache mit Grassalkovich beschuldigt oder mit Schadensersatzforderungen belangt zu werden.
Einen Vergleich – in der Sprache jener Zeit etwas beschönigend „Amica“ genannt – hat Grassalkovich nicht nur Lind angeboten, sondern auch anderen seiner Gläubiger. Dieser Vergleich sah so aus: Er setze den Zinsfuß von 6% auf 3% bzw. 2,5% für die Partialobligationen von 1825 herab und beginne erst in 7 Jahren mit der Rückzahlung des Kapitals. Die Gläubiger waren nicht bereit, diese Bedingungen anzunehmen, da sie zudem ohne jede Garantie von Seiten Grassalkovichs gestellt wurden. Dazu äußerte er sich angeblich wie folgt: „Wir haben Euch die Hand zum Frieden geboten, es ist Eure Schuld, wenn ihr sie nicht angenommen habt: Ihr müßt es Euch selbst zuschreiben, wenn ihr nun gar nichts bekommt. Verbindlichkeiten haben wir sowieso keine zu erfüllen, denn wir sind Ungarn.“(28)
Er berief sich in seinen Verteidigungs- und Antwortschreiben stets darauf, kein Geld erhalten zu haben, bzw. von den ganzen 2 Millionen, auf die die Anleihe von 1825 lautete, nur 32.000 fl. gesehen zu haben. Genaugenommen ließ er diese Behauptung verbreiten, denn er selbst hätte sich bei den Ämtern und Würden, die er innehatte – er war Obergespan von Csongrád, Träger des Großkreuzes des Stephansordens, Kämmerer, wirklicher Geheimrat usw … eine solche Behauptung nicht leisten können. Über den Erhalt des Geldes für diese Partialobligationen von 1825 gibt es nur einzelne Schriftstücke, die über kleinere Summen Zeugnis ablegen. Allein die Summe der oben beschriebenen Manöver des Eintauschens gegen andere Schuldbriefe übersteigen die genannte Summe von 32.000 fl. CM weit. Über die Partialobligationen von 1820 existieren genauere Angaben. Es geht nämlich aus den Intabulationsbüchern des Komitats Pest hervor, daß er am 6. 3. 1820, an dem er die Hauptschuldverschreibung der ersten Partialobligationen intabulierte, gleichzeitig in Ungarn aufgenommene Schulden in der Höhe von 559.500 fl. WW und 24.600 Dukaten extabulieren ließ.(29) Woraus sich mit Recht folgern läßt, daß er dieses Geld von dem Bankhaus Arnstein und Eskeles, bei dem diese erste Anleihe aufgelegt wurde, erhalten haben muß. Die Anleihe belief sich auf 600.000 fl. CM. Die extabulierte Summe ergibt umgerechnet in Konventionsmünze 334.500 fl. Wenn man hinzurechnet, daß er nicht die gesamte Summe zur Schuldentilgung verwendet hat, oder daß er in anderen Komitaten vielleicht auch noch Schulden abgezahlt hat, daß er zusätzlich Provision an etwaige „Kontrahenten“, also Vermittler der Anleihe und Verbreiter der Partialobligationen ausbezahlt hat, so ergibt sich, daß er zumindest weit mehr als die Hälfte der Summe, die auf der Hauptschuldverschreibung steht, erhalten haben muß. Allerdings auch sicherlich erheblich weniger als eben diese Summe. Eine zeitgenössische Flugschrift erwähnt die Summe von 20.000 fl., die Grassalkovich angeblich einem der beteiligten Bankhäuser bezahlt haben soll.(30)
Batthyány machte übrigens aus Zahlungsunfähigkeit wiederum Geld, indem er eigene Wertpapiere herausgab, deren Grundlage seine Verfügungsgewalt als Sequester der Grassalkovich’schen Güter über selbige war. Er nannte diese auf einen Nennwert von 100 fl. ausgestellten Papiere „Administrations-Papiere“ und sie sollen immerhin zu 50% ihres Nennwertes an der Wiener Börse gehandelt worden sein.(31)
Gegen seine „Kontrahenten“ Stametz, Ullmann und Wertheimber & Seckstein strengte Grassalkovich bereits 1829 einen Invaliditorius-Prozeß an, in dem er von dem Recht der „exceptio non numeratae pecuniae“, auf das er in der Hauptschuldverschreibung zu den Partialobligationen ausdrücklich verzichtet hatte, Gebrauch machte. Er behauptete also, von seinen Vertragspartnern hereingelegt worden zu sein und die Geldsumme, zu deren Rückzahlung er sich verpflichtet hatte, nicht erhalten zu haben. Daß das ein abgekartetes Spiel war, um wiederum Zeit zu gewinnen, beweist sein Verhalten gegenüber einem dieser Geklagten, dem Pester Händler Móricz Ullmann. Bei ihm nahm er nämlich weiterhin Geld auf und verpfändete ihm sein Gut Debrő. Wäre er von ihm tatsächlich betrogen worden, so hätte er sich nicht weiterhin mit ihm in Geschäftsbeziehungen eingelassen. Kurz vor seinem – Grassalkovichs – Tode löste er diesen Besitz wieder aus, und zwar angeblich um das Doppelte der auf Debrő intabulierten Summe – 290.000 fl. CM – mit der er bei Ullmann verschuldet war(32), was seine Gläubiger als Beweis dafür werteten, daß er Ullmann außergewöhnlich verpflichtet war. Die Invaliditorius-Prozeßklage blieb bei all dem weiterhin aufrecht.
Die Gläubiger, die sich zu einem Verein zusammenschlossen, bestürmten die Gerichte und die ungarische Hofkanzlei, und es kam schließlich sogar zu mehreren kaiserlichen Resolutionen vom 23.1. 1834, also noch von Franz I., dann von seinem Nachfolger vom 12. 6. 1835, vom 16. 6. 1836(33), in denen das Komitat Pest angewiesen wurde, die Vollstreckung des Urteils vorzunehmen und zu einem Handbillet des Kaisers Ferdinand vom 11. 7. 1838(34), in dem er noch einmal die ungarische Hofkanzlei, die ungarischen Gerichte und die Behörden des Komitats Pest anwies, die Urteile der österreichischen Gerichte anzuerkennen und zu vollstrecken. Das einzige Ergebnis dieser Note war, daß Grassalkovich den Konkursprozeß beantragte, um die Sache weiter hinauszuzögern. Daraufhin wurde ein richterliches Sequestrum über seine Besitzungen verhängt. Batthyány scheint jedoch weiter sein segensreiches Wirken entfaltet zu haben, auch nach Grassalkovichs Tod schützte er die Witwe und die Erben weiterhin vor Pfändung. Es wurde ihm nur ein richterlicher Sequester zur Seite gestellt, dessen Einfluß offenbar nicht ausreichte, um den Batthyánys zurückzudrängen. Grassalkovich hatte sich bei den Behörden des Komitats Pest zusätzlich dadurch beliebt gemacht, daß er der Stadt Pest ein Grundstück für den Bau eines Theaters schenkte.
Es finden sich neben vielen bitteren Anklagen gegen den offensichtlichen und geplanten Betrug Grassalkovichs auch einige Stimmen, die sich zu seiner Verteidigung erheben. So eine von einem ungarischen Adeligen verfaßte und anonym erschienene Flugschrift aus dem Jahre 1833, der meint, Grassalkovich sei von den Juden betrogen worden. In dieser Schrift(35) und einer anderen, zeitgenössischen, wird eine dunkle Gestalt namens Seeligmann erwähnt, der, aus einer deutschen jüdischen Bankiersfamilie stammend, in den deutschen Landen bereits straffällig geworden war und eine Strafe in der Festung Torgau verbüßt hatte. Dann kam er nach Österreich, hielt sich in Wien, Pest, Buda und schließlich in Preßburg auf. Er hat die restlichen betrügerischen Partialobligationen vermittelt und sich dabei zum Schaden sowohl der Gläubiger als auch der Begeber der Anleihe sehr bereichert.(36)
3.) Die betrügerischen Anleihengeschäfte Seeligmanns
In den Unterlagen zu den Grassalkovich’schen Schuldprozessen findet sich nirgends ein Hinweis auf Seeligmann. Allerdings existiert eine eigenartige Eintragung im Index zu den Intabulationsprotokollen des Komitats Preßburg. Dieser Eintragung zufolge soll Grassalkovich 1826 bei Eduard Seeligmann die Summe von 2.500 fl. CM aufgenommen haben, an der betreffenden Stelle im Protokoll steht jedoch der Name eines anderen Mannes als Gläubiger, der des Preßburger Bürgers Burian.(37) Diese Eintragung klärt sich an anderer Stelle auf: Seeligmann, der sich von 1825 bis 1829 in Preßburg aufhielt, vielleicht auch länger, für den genannten Zeitraum ist seine Anwesenheit jedoch nachweisbar, setzte offenbar seine Bemühungen darein, Schulden von Adeligen aufzukaufen, seis, um überhaupt Zugang zu adeligen Kreisen zu erhalten, seis, um sie dann besser unter Druck setzen und für seine Machinationen gewinnen zu können. So finden sich einige Obligationen, die Angehörige des Adels bei anderen aufgenommen hatten, so auch Grassalkovich bei Burian, und die dann auf Seeligmann cediert wurden. Er verlieh aber auch selbst Geld an Adelige. Bei diesen Geschäften dürfte die Rückzahlung der Schuld mitsamt Zinsen nicht der angestrebte Zweck der Transaktion gewesen sein – eine einzige all dieser Summen wurde extabuliert, eben diejenige Grassalkovichs, allerdings 1850, lange Zeit nach Seeligmanns und Grassalkovichs Tod.(38) Es kann auch sein, daß einfach Seeligmanns plötzliches Ableben seine Berechnungen zunichte machte.
Mit diesen Daten stimmt die schmeichelhafte Beschreibung des Autors der „Umrisse“ überein: „Hier setzte er (= Seeligmann) sich in einer Kurie zu Preßburg fest und kam während seiner hier sehr erfolgreich ausgeführten Gaunerpraxis auf die goldene Idee, auch Leute, die nichts als einen bekannten Familiennamen hatten, Partialgeschäfte machen zu lassen und durch Zusammenstellung einer ganzen Menge imposanter, das nicht ganz scharfe Auge blendender Formen und Solemnitäten, die aber im Grunde nur leerer Tand waren, die übrigens luftigen Partiale in einen künstlichen Nimbus zu hüllen, ihnen Vertrauen zu verschaffen und zum Gewinn anzureizen.“(39)
Aufgrund alldessen ist anzunehmen, daß Seeligmann sich die Grassalkovich’schen Partialobligationen quasi als Muster genommen hat, da sich an ihnen die Schwachstellen der österreichischen und ungarischen Gesetzgebung und Rechtssprechung gut studieren ließen.
Die von Seeligmann vermittelten Anleihen waren die folgenden, insgesamt 8 Stück:
Ein gewisser Graf Károly Albert Festetics von Tolna (– laut ungarischem Hofkanzler Reviczky Herausgeber einer Zeitschrift namens „Pannonia“,) stellte am 1. 7. 1828 in Preßburg mehrere Hauptschuldverschreibungen aus, die zusammen auf eine Summe von 2 Millionen fl. CM lauteten.(40) Darin verpfändete er seine Güter Tolna im Komitat Tolna, Csikvánd im Komitat Győr und Lovászpatona im Komitat Veszprém. Die Partialobligationen waren auf einen Nennwert von 1.000 fl. CM ausgestellt, die Verzinsung 6%, die Rückzahlung sollte bis 1850 erfolgen.
Die Vorgeschichte der Anleihe ist unklar. Die österreichischen Behörden wußten von seiner Absicht, eine Anleihe aufzunehmen. In einer Anfrage wird die Ungarische Hofkanzlei gebeten, zu untersuchen, „ob dieses Geschäft nicht etwa eine Prellerei beziehe“ und der ungarische Kanzler Reviczky antwortet, daß dieses „bei dem mir bekannten Charakter und zerrütteten Vermögens-Umständen des Grafen Festetics“ durchaus anzunehmen sei. Die Drucklegung der Partialobligationen wurde verweigert.(41) Sie wurde dennoch gedruckt, wo und wie, ist unbekannt. Einen Teil der Hauptschuldverschreibungen ließ Festetics – mittels eines Manövers, in welches ein Wiener Bank- und Handelshaus, die Firma Frank und Co., verwickelt war, – bei dem Augsburger Handelshaus Erzberger und Schmidt deponieren. Eine Kopie dieses Depositenscheins von Erzberger und Schmidt fügte er den einzelnen Partialobligationen bei, sodaß der Eindruck entstand, die Anleihe sei dort aufgenommen worden.(42) Als Erzberger und Schmidt gegen diesen Mißbrauch protestierten und in der Augsburger Zeitung – einem vor allem in Österreich nicht allzu verbreiteten Blatt – eine Anzeige aufgaben, daß sie mit dieser Anleihe nichts zu tun hätten, nahm die Wiener Polizei- und Zensur-Hofstelle das als Bestätigung zur Kenntnis, daß die Anleihe nicht zustandegekommen sei.(43)
Auch das Wiener Handelshaus Heylmanns Erben war bei einer ähnlichen, vom gleichen Zeitpunkt datierten „Anleihe“ von Festetics beteiligt: Er versuchte, eine Hauptschuldverschreibung über 600.000 fl. CM, intabuliert auf die Güter Lovászpatona, Tolna und Szécsény, bei der Nationalbank zu hinterlegen, die die Annahme „wegen der bekannten Vermögens-Verhältnisse des Herrn Schuldners“(44) verweigerte. Daraufhin wurde dieser Schuldschein bei der Depositen-Verwaltung der niederösterreichischen Landrechte in Wien hinterlegt. Auch hier wurde den Partialobligationen eine Kopie des Depositenscheines beigefügt, dessen Doppeladler-Stempel – immerhin Insignium der österreichischen Staatsmacht – auf etwaige Gläubiger vertrauensbildend wirken sollte.(45) Fast 20 Jahre nach Ausgabe dieser „Anleihe“ versuchte ein Mann aus Russisch-Polen eine Partialobligation dieser Anleihe bei Heylmanns Erben einzulösen. Das Handelshaus verweigerte jegliche Zahlung mit der Begründung, daß Festetics „falliert“ habe und die Partialobligationen schon seit langem keinen Wert mehr hätten.(46) (Ganz so, als hätten sie vorher tatsächlich einen Wert besessen.)
Eine dritte Anleihe Festetics’ ist datiert vom 2. 1. 1828, Sopron, die Schuldscheine, lautend auf jeweils 300.000 fl. CM, wurde jedoch erst am 16. 8. 1829 bei dem Handelshause Salomon Oppenheimer S. et Co. in Köln deponiert. Auch hier ist der Nennwert der Partialobligationen 1000 fl., die Verzinsung 6%, allerdings wird nirgends das Bankhaus erwähnt, bei dem die Auszahlungen stattfinden sollten. Die Anleihe beläuft sich insgesamt auf 900.000 fl. CM, auch hier wurde eine Kopie des Depositenscheins den Partialobligationen beigelegt. Die Hinterlegung dieser Schuldscheine soll Seeligmann selbst besorgt haben.(47)
Diese Partialobligationen wurden ähnlich wie die Grassalkovich’schen verbreitet, allerdings vor allem in Deutschland oder in entlegenen Gebieten der Monarchie. In Wien und Umgebung hatten die Vorkommnisse um die Privatanleihe von Grassalkovich offenbar das öffentliche Bewußtsein in einem Maße geschärft, das die Plazierung solcher unseriöser Papiere erschwerte. Auch die Behörden waren vorsichtiger: Die Nationalbank lehnte das Deposit ab, – obwohl sie mit der Deponierung keinerlei Haftung übernommen hätte, so wollte sie wahrscheinlich nicht mit einer offensichtlichen Schwindel-Anleihe in Verbindung gebracht werden.
Hier arbeiteten die Agenten des Grafen auch mit anderen, vielfältigeren Mitteln als bei Grassalkovich: Sie schufen künstliche Nachfrage durch Auftreten von scheinbaren Käufern, um die Anleihe solid erscheinen zu lassen(48), „bezahlten“ mit den Partialobligationen Schulden in Padua(49) und jonglierten bei der Verbreitung der Partialobligationen auch mit guten, gültigen Wechseln, um durch Vermischung echter Wertpapiere mit den Partialobligationen letzteren selbst den Status eines Wertpapieres zu verleihen.(50) Ein Manöver der letzteren Art in Leipzig führte zu einer Anzeige des dort akkreditierten österreichischen General-Consuls nach Wien. Die Behörden sollten dem Betrug nachgehen und feststellen, ob Festetics die Partialobligationen wirklich habe ausstellen lassen. Die Hofkanzlei mußte anläßlich dieses Schreibens zur Kenntnis nehmen, daß diese Anleihe tatsächlich und gegen ihre Verfügung doch stattgefunden hatte.(51) Es kam angeblich zu Verhaftungen, ob Festetics belangt wurde, ist nicht bekannt.(52)
Weitere Schwindel-Anleihen wurde von den Grafen Hadik von Futak und Cservics aufgelegt. Die eine, auf eine Summe von einer Million Gulden CM, datiert 1.2. 1827 in Pest, beim Haus Leopold Carlbach in Wien, die andere im Betrag von 500.000 fl. CM am 1.4. 1828 in Preßburg, beim Haus M. Lackenbacher, ebenfalls in Wien. Die Hauptschuldverschreibungen beider Anleihen wurden bei der Nationalbank hinterlegt. Die Schuld wurde in Zombor/Komitat Bács auf angebliche Güter in den Komitaten Bács und Szerém intabuliert. „Die achtenswerten Verwandten Hadiks haben in der Preßburger Zeitung vom 4.11.1828 und in der Wiener Zeitung vom 21.12.1829 Warnungen gegen diese Anleihe von 500.000 drucken lassen, worin sie dem Aussteller das Recht absprechen, auf diese in fremdem Besitz befindlichen Herrschaften Gelder aufzunehmen und Intabulationen zu veranstalten – kurz: das ganze Anleihen für ungültig deklarieren. Diese Warnungen sind endlich auch in der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 7.1.1830 ... abgedruckt.“(53)
In einem Werk aus dem Jahre 1820 heißt es: „… die Güter „Tscherowitz und Sussek, Alt- und Neu-Futak, noch vor wenigen Jahren das Eigentum der Grafen Hadik, deren Großvater sich als Feldmarschall um den Staat besonders verdient gemacht hat …“ (Hervorhebung A. L.) Der Autor erwähnt einen Grafen Brunswick als derzeitigen Besitzer.(54) Die Güter, auf die die Schuld von den Hadiks intabuliert worden war, befanden sich also seit mehr als acht Jahren nicht mehr in den Händen der Begeber der Anleihe.
Weiters existierte eine Anleihe des Grafen József Eszterházy, bei der der Betrug soweit gegangen sein soll, daß seine Unterschrift – nach seinem Tod – auf der Hauptschuldverschreibung gefälscht wurde.(55) Diese Anleihe ist im Komitat Preßburg intabuliert worden und die oberflächliche Form, in der sie abgehalten ist, stützt den Vorwurf der Fälschung. Aus der sehr kurz gefaßten Eintragung geht nur hervor, daß sie sich auf 200.000 fl. „Zwanziger“, also Konventionsmünze belief, bei einem „Vereine der Partialen“ aufgenommen wurde und binnen 25 Jahren zurückzuzahlen gewesen wäre.(56) Diese Hauptschuldverschreibung wurde von keinem Zeugen unterzeichnet.
Alle diese Papiere wurden auf einen Nennwert von 1000 fl. CM ausgestellt.
Eine der erwähnten Flugschriften weist die Spur zu den restlichen Anleihen Seeligmanns, dort ist die Rede von zwei weiteren: der eines gewissen Baron L. und eines Grafen P. „Jene des Grafen P. verdient von den übrigen abgesondert zu werden, indem dabei ein wesentlicher Unterschied obwaltete. Dieser Herr war mehr das Opfer seiner Betriebsamkeit und Industrie, als der Verschwendung.“ Er habe zunächst pünktlich und gewissenhaft gezahlt, sei aber dann verleumdet worden, seine Papiere seien daraufhin stark gefallen und er habe die Zahlungen eingestellt.(57)
Der in der Flugschrift erwähnte Baron L. hieß Alois Freiherr von Luzsinszky. Er nahm seine Schwindel-Anleihe im Jahre 1828 auf und ließ die diesbezügliche Hauptschuldverschreibung im Komitat Preßburg auf seine Herrschaft Csóka-kő im Komitat Fehér, bei der er nur Mitbesitzer war, intabulieren.(58) Vorher hatte er versucht, sie im Komitat Pest intabulieren zu lassen, aber dort wurde die Intabulation mit der Begründung verweigert, daß er keinerlei Besitz in diesem Komitat habe.(59) Das war zwar keine ausreichende Begründung, denn vor 1840 war die Intabulation nicht an das Komitat gebunden, in dem sich der zu belastende Grundbesitz befand. Aber die Behörden des Komitates Pest, durch das Grassalkovich-Verfahren bereits mit der Materie vertraut, waren offensichtlich auch nicht daran interessiert, zu einem Hort für Kreditschwindler zu werden.
Die Summe wurde bei einem angeblichen „Verein von Kapitalsbesitzern“ aufgenommen, belief sich auf eine halbe Million Gulden Konventionsmünze und wäre ab 1830 in halbjährlichen Raten abzuzahlen gewesen. Mit der Abwicklung der Zinszahlungen und Tilgungen wurde das bereits bewährte Wiener Bankhaus Heylmanns Erben betraut. Die Partialobligationen lauteten auf einen Nennwert von 1.000 fl. CM.
Der ominöse „Graf P.“ hieß Anton von Pejacsevich, seines Zeichens königlicher Kämmerer. Er stellte am 1. 5. 1828 in Preßburg eine Hauptverschuldverschreibung über 200.000 fl. CM aus. Davon wurden Partiale a 1.000 fl. gedruckt. Für Hilfestellungen unbekannter Natur – entweder bei der Intabulation der Hauptschuldverschreibung oder bei der Verbreitung der Partialen – trat Seeligmann laut einem Vertrag vom 9. 5. 1828 50 Stück Partiale kostenlos, 50 Stück „gegen Bezahlung“ an einen gewissen Gerson Lemberger ab. Der Vertrag ist von den beiden Partnern unterzeichnet, und von einem Zeugen: Karl Albert Festetics.(60)
Bei keiner dieser Anleihen wurden tatsächlich irgendwelche Gelder, ob Zinsen oder Rückzahlungen, ausbezahlt. Der einzige Wert, den diese Papiere an der Wiener Börse hatten, – zwischen 2 und 15 fl. pro Stück – verdankte sich den guten Diensten, den sie bei Bankrotten leisteten. Die Bankrotteure verteidigten sich nämlich damit, ihr überschüssiges Kapital in ungarischen Partialen angelegt und dadurch verloren zu haben. Sobald der Kurs eines dieser Papiere durch plötzliche Aufkäufe stieg, begann in der Finanzwelt das Rätselraten, wer wohl bald Konkurs anmelden werde.
Auch darüber hinaus leisteten sie hin und wieder Betrügern gute Dienste, wie die angeführten Berichte über die Partialobligationen zeigen: für Schuldentilgung, Deposit-Geschäfte und dubiose Tauschgeschäfte an entlegeneren Orten und bei Personen, die sich durch klingende Namen und Titel, Depositenscheine und Doppeladler blenden ließen.
Seeligmann soll sich jeglicher Verfolgung entzogen, in Wien niedergelassen haben und um 1832 herum verstorben sein. Angeblich hat er bei seinen Geschäften eine halbe Million Gulden verdient.(61)
„Der unwiderlegbare Beweis des Gesagten wird in Zahlen durch einen einzigen der zur Öffentlichkeit bestimmten »Wiener Kurs-Berichte der Herrschaftlichen Partialen« geliefert. Nicht weniger als 14 ungarische Anleihen im Nominalbetrag von vielen Millionen fl. Silber sind darauf spezifiziert, wovon die eingegangenen Verbindlichkeiten nicht erfüllt werden.“ Der Autor nennt eine Summe von 9 Millionen fl. CM.(62) Da die Nominalbeträge der Partialobligationen von Grassalkovich, Festetics, den Hadiks, József Eszterházy, Pejacsevich und Luzsinszky 8 Millionen 100.000 fl. ausmachen, die Summe der Anleihen 11 beträgt, erscheint diese Summe plausibel. Die fehlenden 3 Anleihen mit einer Gesamtsumme von 900.000 fl. müssen nicht betrügerischer Natur gewesen sein, auch bloße Zahlungsverzögerungen können ein Grund gewesen sein, warum sie auf dem „Kurs-Bericht“ in diese schlechte Gesellschaft gerieten.
Auffällig ist die Kumpanei der österreichischen Behörden mit den Adeligen, die die oben beschriebenen Schwindel-Anleihen begaben. Während der Autor einer Flugschrift zu Recht fragt:
„Wo sind diese und ähnliche Papiere gedruckt und lithographiert? Es ist nicht glaublich, daß die bekanntlich strenge Zensur in Wien so etwas erlaubt habe, und doch darf kein österreichischer Untertan es wagen, ohne eine gesetzeswidrige Handlung zu begehen, etwas im Auslande drucken zu lassen, was nicht vorher die Zensur im Inlande passiert hätte,“(63) so läßt sich feststellen, daß diese Gesetzwidrigkeit offenbar nicht weiter tragisch genommen wurde.
Die Hofkanzlei, die ungarische Hofkanzlei, die Polizei- und Zensurstelle mußten wiederholt zur Kenntnis nehmen, daß die Festetics’schen Obligationen ohne ihre Genehmigung gedruckt worden waren, ja sie weisen sogar selbst darauf hin. Dennoch verweisen sie die Beschwerdeführer an die Gerichte, stellen vielleicht Überlegungen über die Sinnhaftigkeit der Privatanleihen überhaupt an – aber aus der Korrespondenz zwischen Metternich, Kolowrat, Kübeck, Reviczky, seinen Nachfolgern als Ungarische Kanzler usw. geht nirgends hervor, daß eine Ahndung des Betruges oder zumindest des Verstoßes gegen die Zensurvorschriften vorgesehen war.
Es war, wie eine andere Flugschrift(64) behauptet, eben kein politisches Pamphlet, das solchermaßen die Zensur unterlaufen hatte, daher galt das ganze anscheinend als Kavaliersdelikt.
4.) Die Anleihen der Fürsten Eszterházy
Eine andere Art von Anleihen stellten diejenigen der Fürsten Eszterházy dar. Eine von ihnen begab der Fürst Pál Eszterházy, Diplomat und österreichischer Gesandter in London, im Jahre 1836. Sie wurde mit den Bankhäusern Rothschild und Söhne und S. Sina abgeschlossen und belief sich auf 7 Millionen Gulden CM. Sie hatte eine sehr lange Laufzeit: 32 Jahre. Die letzte Auszahlung sollte somit 1868 erfolgen. Diese Anleihe hatte keine fixe Verzinsung, sondern war in Form einer Lotterie angelegt. Die Lotterie-Commission hat auch gegen diese Art von Anleihen wiederholtermaßen protestiert, da sie mit den staatlichen Lotterie-Losen konkurrierten, ohne Taxen an den Ärar abzuliefern. Der Preis einer Partialobligationen betrug 40 fl. CM. Bei jeder (halbjährlich stattfindenden) Ziehung gab es Haupttreffer, deren Höhe zwischen 40.000 und 60.000 fl. CM betrug. Dabei wurde darauf geachtet, daß die höchsten Haupttreffer, im Betrag von 50.000 bzw. 60.000 fl. CM, in die ersten und letzten zwei Jahre der Rückzahlungsfrist fielen. Die niedrigsten Treffer lagen zwischen der unverzinsten und 6%ig verzinslichen Summe und betrugen 50, ab 1847 52, später 55, 57, 60, ab 1859 62, dann 65, 67, ab 1865 70, in den letzten beiden Jahren 72 fl. CM. Alle darüber liegenden Treffer boten eine Verzinsung über den gesetzlich zulässigen Höchstzinsen von 6% (1837: 60, 1867: 84 fl.), ohne daß dies ausdrücklich im Vertrag oder dem Tilgungsplan festgehalten worden wäre.(65) Die vom Fürsten ausgezahlte Gesamtsumme betrug schließlich 14 Millionen 451.600 fl. CM. (Hätte er den Kredit mit normaler 6%-iger Verzinsung, bei gleicher Laufzeit und mit einer gleichbleibenden jährlichen Tilgungssumme aufgenommen, – ohne die Zinseszinsen zu berücksichtigen, – so hätte er 13 Millionen 930.125 fl. CM gezahlt, also rund 520.000 fl. weniger – soviel nur zum offensichtlich „wucherischen“ Charakter der Anleihe.) Die hohe Rückzahlungs-Summe – über das Doppelte der aufgenommenen – ergibt sich aus der langen Laufzeit, nicht aus der ungewöhnlich hohen Verzinsung.
Eszterházy hat jedoch schon früher Anleihen begeben, denn in einer Schrift aus dem Jahre 1831 heißt es: „Die Fürst Eszterházy-Anleihe von 1825 wird an der Börse zu 70 … gehandelt, … das Anlehen von 1826 stand zu 74, während jenes von 1829 zu 78 stand …“(66) In allen drei Fällen handelt es sich um Partialobligationen und deren Kurs an der Börse.
Noch eine weitere Anleihe ist aktenkundig: 1844 nahm besagter Fürst zusammen mit seinem Sohn Miklós eine Anleihe über weitere 6 Millionen 400.000 fl. CM auf. Da auch dieser Kredit eine sehr lange Laufzeit hatte, hatten wahrscheinlich die Bankiers auf die Mithaftung des Sohnes gedrungen, um auch über den Tod Pál Eszterházys hinaus eine Garantie zu haben, daß der Kredit ordnungsgemäß bedient werde.
In erwähntem zeitgenössischem Kommentar steht weiters, daß dieser Kredit notwendig ein Wucher-Kredit sein muß, also einer, bei dem weitaus mehr zurückgezahlt wird als das vorgeschossene Kapital plus 6% Zinsen: weil der fürstliche Schuldner die Summe, die nominell als aufgenommene Summe figuriert, gar nicht in ihrer ganzen Höhe ausbezahlt erhalten haben kann. Hätten die Bankiers sie nämlich voll ausbezahlt, so wären sie die Geschädigten gewesen, da die Papiere nur zu 70-80% ihres Nennwertes an der Börse zirkulierten, daher, so schließt der Verfasser, nur zu diesem Preis verkäuflich sein konnten. Die Bankiers, so der Autor, „übernehmen es, ein bedeutendes Kapital, wenn auch nur ratenweise, vorzuschießen in der Hoffnung, sich solches, wenigstens zum Teil durch den Verkauf der Partialobligationen wieder zu verschaffen; allein diese Hoffnung kann mehr oder weniger fehlschlagen. Sie verabreden einen gewissen Kurs, zu welchem sie wahrscheinlich verkaufen zu können hoffen … Die fürstlich Eszterházy'sche Anleihe von 1825 stand zu 94 oder auch unter 70.
Sie setzen voraus, daß ihr Mitkontrahent keine neuen Schulden mehr mache; aber solche Herren sind in Geldsachen wenig skrupulös – es erscheint eine 2. und eine 3. Anleihe, wodurch diese Papiere überhaupt … herabgewürdigt werden. Lauter Ereignisse, welche die Übernehmer von derlei Anleihen in ihren Kalkül aufnehmen werden müssen.“(67)
Dieses Zitat enthält die zusätzliche Information, daß die aufgenommene Summe nicht nur nicht vollständig, sondern auch nicht auf einmal, sondern in Raten ausbezahlt wurde. Daraus läßt sich folgern, daß die Bankhäuser erst das Publikumsinteresse abwarteten, um dann die tatsächlich auszubezahlenden Summen festzulegen.
Es gibt aber auch eine gegenteilige Information über den Kurs der „Eszterházy-Loose“: Anfang der 40-er Jahre sollen sie an der Wiener Börse zu 50 fl., also zu 125% ihres Wertes, kursiert sein.(68)
Ungeachtet dessen, daß diese Privatanleihen für die Schuldner ein recht kostspieliges Geschäft waren und keinen wie immer gearteten Geschäftsgang einer Unternehmung repräsentierten, sondern nur einen gut beleumundeten Magnaten-Namen, zählten die Eszterházyschen Partialobligationen zu den begehrtesten Wertpapieren Ungarns – daß sie angeblich unter ihrem Nennwert gehandelt wurden, tat ihrer Popularität keinen Abbruch. Daran hat gewiß die Tatsache Anteil, daß sie mit den ersten Bankhäusern der Monarchie abgeschlossen worden waren, daß sie vertragsgemäß ausgezahlt wurden, aber auch die Tatsache, daß es kaum andere ungarische Wertpapiere gab. Die ersten Aktien in Ungarn tauchen mit der Kettenbrücke, der Zucker Fabrikations-Gesellschaft u.ä. in den 40-er-Jahren auf. So finden sich die „Eszterházy-Loose“ 1842 als einzige kreditwürdige Wertpapiere neben den österreichischen Staatsanleihen bei der Ersten Pester Vaterländischen Sparkasse. Sie stechen in dieser Eigenschaft andere ungarische Papiere, wie die Aktien der Komorner Schiffs-Assekuranz-Gesellschaft, aus.(69) Ebenso finden sie sich als Wertpapier bei der Vermögens-Aufstellung des Pester Großhändlers Friedrich Kappel aus dem Jahre 1848: 185 Stück im Wert von 7.400 fl. CM, also mit einem Nennwert von 40 fl.(70) Diese Summe ist nur ein verschwindend kleiner Posten neben in- und ausländischen Staatsanleihen und macht nur rund ein Prozent des gesamten in Wertpapieren angelegten Vermögens Kappels aus, zeigt aber, daß die Eszterházy-Partialobligationen in Ungarn bis in das Revolutionsjahr 1848 ihren Wert behielten. Sie dienten sogar zu zusätzlicher Kreditschöpfung: Eine ungarische Firma Weisz, die mit Stearinkerzen, Spezereien und Wein handelte, auch Speditionsaufträge übernahm, gab auf die Eszterházy-Loose, und zwar die von 1836, Zahlungsversprechungen heraus.(71) Ein etwaiger Interessent konnte also sozusagen einen Optionsschein auf ein im Besitz der Firma Weisz befindliches Los kaufen und hoffen, daß es sich am Ziehungstag als Treffer entpuppen würde. Über die genaueren Modalitäten dieses Geschäftes ist nichts bekannt.
Die Eszterházyschen Partialobligationen waren somit für die beteiligten Bankhäuser ein gutes Geschäft, (sonst hätten sie selbige nicht vermittelt), für die Käufer eine sichere Geldanlage. Für den fürstlichen Schuldner bzw. seine Erben bedeuteten sie eine existenzielle Bedrohung, wie z.B. die Tagebucheintragung István Széchenyis aus dem Jahre 1844 andeutet: „Paul Eszterházy behält seine Güter … kein Wort wahr, daß Rothschild sie übernimmt!“(72)
Diejenigen Anleihen Eszterházys, die aktenkundig sind, machen insgesamt 13,4 Millionen Gulden Konventionsmünze aus. Auf welche Summen seine Anleihen aus den 20-er Jahren lauteten, ist unbekannt. Unter den in den Akten aufscheinenden Privatanleihen nehmen die Eszterházyschen eine herausragende Stellung ein, was ihre Höhe betrifft. Die ausgedehnten Besitzungen Eszterházys in Ungarn und Österreich, sogar in Bayern, dienten als hinreichende Sicherheit für die Gläubiger. Sie konnten jedoch die Summen, die er zurückzuzahlen hatte, nicht hervorbringen. Wie überhaupt der Schätzwert der Güter nie der Fähigkeit zur Rückzahlung jener Summen entsprach, die darauf aufgenommen wurden. Daran war die Agrarkrise der 20er-Jahre ebenso beteiligt wie die durch die österreichische Zollpolitik während des ganzen Vormärz erschwerten Absatzmöglichkeiten für ungarische Agrarprodukte.
Daher gab Eszterházy auch immer wieder neue Anleihen heraus, um mit dem erhaltenen Geld einer Privatanleihe die Raten der vorherigen abzuzahlen. Im Ansuchen um die Genehmigung der Anleihe von 1844 erwähnt er auch, daß er diese Anleihe aufnimmt, um seinen Passivstand zu „verbessern“.(73)
Sein Sohn Miklós hatte im Jahre 1829 allein eine Anleihe über 2 Millionen 100.000 fl. aufgenommen. Das ist ziemlich der Plafond derjenigen Summen, die ungarische Adelige in Form einer Privatanleihe aufnahmen. Die Anleihen der übrigen ungarischen Adeligen – soweit wir über Angaben verfügen –, erreichten nie die Höhe derer des Fürsten Pál Eszterházy. Der Wert der Privatanleihen anderer ungarischer Adliger bewegte sich zwischen 1 Millionen 550.000 (György Orczy 1842) und 300.000 (die Grafen Anton und Josef Szapáry 1843)
Die Privatanleihen spielten eine bedeutende Rolle – in Zusammenspiel mit der kaufmännischen Tätigkeit der Bank- und Handelshäuser, die mit Tabak-, Getreide- und Wollhandel zu den hauptsächlichen Aufkäufern und damit auch Kreditoren des ungarischen Adels zählten – darin, daß einige Wiener Bankiers, wie z.B. Georg Sina oder die Firma Biedermann, zu den größten Grundbesitzern Ungarns aufstiegen. Ihre zahlungsunfähigen Schuldner mußten ihnen schließlich ihren Besitz überlassen. So führt ein zeitgenössisches Werk im Jahre 1841 bei Sina ausdrücklich an, daß er seine Besitzung Tolna von Festetics (vermutlich László Festetics), sowie Häuser in Sempse von Eszterházy und in Nagy-Arad von Zichy übernommen hatte, die bei ihm verschuldet waren.(74)
In einer Beschwerde der noch immer nicht befriedigten Gläubiger Grassalkovichs an Kübeck aus dem Jahre 1846 steht, daß „von ungarischen Herrschaften seit längerer Zeit in gleicher Weise“ (d.h., in Form einer Privatanleihe) „aufgenommenen Anlehen … beiläufig 50 Millionen Gulden“(75) ausmachten. Aus dieser Angabe geht nicht klar hervor, ob es sich hierbei um die Summe aller jemals aufgenommener Schulden handelt oder um diejenige Summe, die zu diesem Zeitpunkt noch offen war. Aus den in den Akten aufscheinenden Summen läßt sich jedoch eher auf ersteres schließen. Wenn man davon die 9 Millionen abzieht, die laut dem anonymen Autor aus dem Jahre 1832 nicht dem Tilgungsplan entsprechend zurückgezahlt wurden, so läßt sich feststellen, daß ungefähr 41 Millionen Gulden Konventionsmünze von ungarischen Adeligen bei Wiener Bankhäusern allein in Form der Privatanleihe aufgenommen und auch ordnungsgemäß abgezahlt wurden. Bei denjenigen (seriösen) Anleihen, bei denen in den Akten die Laufzeit angegeben wird, beträgt sie zwischen 30 und 40 Jahren. Bei Grassalkovich betrug sie einmal 6 und einmal 12 Jahre. Selbst bei einer niedrig angesetzten Durchschnitts-Laufzeit von 20 Jahren, einer regelmäßigen Tilgung und einem Durchschnitts-Zins von 5% ergäbe das eine Summe von 21,5 Millionen, die die Schuldner für die Zinsen aufbringen mußten.
Auf einen Abfluß an Liquidität in dieser Höhe von Ungarn nach Österreich zu schließen, wäre allerdings nicht ganz richtig. Die meisten der Adeligen, die eine Privatanleihe begaben, hatten auch Besitzungen in den österreichischen Erblanden, da einige Bankhäuser – gewitzigt durch die Schwindel-Anleihen – dies als Bedingung gestellt zu haben scheinen. Es gibt allerdings auch Anleihen, die nur auf ungarische Besitzungen vergeben wurden, so an Ferdinand Pálffy von Erdőd(76) und an die Grafen Szapáry.(77)
Es ist auch nicht sicher, ob all dieses Geld in der österreichischen Reichshälfte verblieb. Viele der Bankiers waren selbst Händler und Grundbesitzer in Ungarn, es ist zumindest nicht auszuschließen, daß ein – wenngleich kleiner – Teil dieser Summen wieder in Ungarn investiert wurde.
Schließlich: Selbst wenn die gesamte errechnete Summe aus Ungarn abgeflossen wäre, so ist es verfehlt, in diesem Zusammenhang von Kapitalabfluß zu sprechen. Die hohen Herrschaften wandten ihr Geld nicht unbedingt als Kapital an, sie lebten im wahrsten Sinne des Wortes feudal, d.h. sie verwendeten ihre Mittel zu einem guten Teil für den privaten Konsum. Investitionen zum Zwecke der Ertragssteigerung waren in den seltensten Fällen üblich. Lediglich von Eszterházy ist bekannt, daß er 1837 eine Zuckerfabrik in Eszterháza im Komitat Sopron eröffnete.(78) Wollten die ungarischen Magnaten ihre Einkünfte erhöhen, so geschah dies eher durch Erwerb von zusätzlichem Grundbesitz, als durch Intensivierung der Bewirtschaftung des bereits vorhandenen. Graf Anton von Waldstein, der Vorsitzende des ungarischen Landtags, teilt mit, sich ein Gut bei Arad kaufen zu wollen.(79) Graf Kázmér Eszterházy, der nach einigem Hin und Her die Erlaubnis erhält, eine Lotto-Privatanleihe zu begeben, teilt im Schriftwechsel mit der Hofkanzlei dieser mit, er habe vor, sich in die Holzindustrie einzukaufen – allerdings in Kärnten.(80)
„Die soliden ungarischen Anleihen stehen auf 76% des Nennwerts, die nicht ungarischen auf 98/99%. So zahlen die anderen ungarischen Kreditnehmer für ihre betrügerischen Landsleute“(81). – so ist in der Flugschrift von 1832 zu lesen. Der Grund für den Kursunterschied lag jedoch nicht nur in den Manövern Grassalkovichs und Seeligmanns.
Ein ungarischer Historiker(82) weist darauf hin, daß der Unterschied zwischen den beiden Kursen, – ebenso wie der oft zitierte verweigerte Kredit an Széchenyi durch Arnstein und Eskeles, welcher Széchenyi zum Schreiben seines Buches „Kredit“ veranlaßt hat –, hauptsächlich auf die Agrarkrise der 20er und frühen 30er Jahre zurückzuführen sei. Da das Einkommen der ungarischen Grundherren fast ausschließlich auf Einkünften aus Agrarprodukten beruhte, hätte die Agrarkrise ihre Kreditwürdigkeit stärker beeinträchtigt als den Adel der österreichischen Erblande. Schließlich: Die nicht nur bei Eszterházy auftretende Praxis, seine Verbindlichkeiten oft genug durch Aufnahme neuer Schulden zu erfüllen, hat sicher auch zu erwähntem Kursverfall beigetragen.
Festzuhalten bleibt also, daß aufgrund dieser Faktoren für den ungarischen Adel der Kredit teurer war als für ihre österreichischen Standesgenossen.
5.) Wem nützten die Privatanleihen?
Am Vorabend der definitiven Einrichtung des Staatskredites in seiner heutigen Form, in der der moderne bürgerliche Staat sein Gewaltmonopol zur Finanzierung seiner Ausgaben in Anschlag bringt, erlaubt diese Staatsgewalt gewissen privilegierten Untertanen, es ihr gleichzutun. So wie der Staat Anleihen herausgibt, um seinen Zahlungsbedarf zu decken, und damit Versprechen auf Vermehrung des Geldes in die Welt setzt, so gestattet er Angehörigen des Hochadels, mit auf sich selbst ausgestellten Anleihen Kredit zu schaffen und quasi-Wertpapiere oder Ersatz-Zahlungsmittel zu schaffen. Beim Betrachter entsteht zunächst der Eindruck, als gäbe die Staatsgewalt damit ihre noch gar nicht richtig gefestigte Finanzhoheit aus der Hand. Hinzu kommt noch, daß die Staatsanleihen des Vormärz’ nicht wie die des 20. Jahrhunderts von nationalen und internationalen Geldinstituten gezeichnet wurden, sondern daß die Adressaten dieser Anleihe genau die gleichen mehr oder weniger kleinen Leute waren, Handwerker, Beamte, Kaufleute, die auch die Begeber der Privatanleihen als Zielgruppe ins Auge faßten. Der Staat konkurrierte also unmittelbar mit den Privaten.
Was hat einen Wiener oder sonstigen österreichischen oder deutschen Bürger dazu bewogen, diese Partialobligationen zu kaufen? Wohl erstens die Tatsache, daß – zumindest bei denen der 20-er Jahre und frühen 30-er Jahre der Zinsfuß deutlich über denen der anderen Wertpapiere, vornehmlich über dem der Staatsanleihen lag. Die Unterscheidung zwischen sicherer und unsicherer Geldanlage war offenbar damals noch nicht sehr im Bewußtsein der Anleger verankert. Hinzu kommt, daß auch die Anleihen eines Staates, der ein bis zwei Jahrzehnte vorher mehr oder weniger offiziell seinen Bankrott erklärt hatte, nicht als Inbegriff der sicheren Anleihe gelten können, aber dennoch Absatz fanden. Auf einen weiteren Umstand weist der ungarische Historiker Nagy hin: Es war dem erwachenden politischen Bewußtsein des Bürgertums angenehm, sich als Gläubiger eines Mitgliedes des Ancien Regime fühlen zu können; ein Aristokrat, so konnten sie sagen, hat bei mir Geld aufgenommen.
Die Tatsache, daß der Staatskredit sich hier eine Konkurrenz geschaffen hatte, ist natürlich den verantwortlichen Politikern nicht entgangen. Öfters wird in den Ansuchen um die Gewährung solcher Anleihen die Frage aufgeworfen, ob „es den Finanzen gleichgültig sein könne, wenn ein Privater … solche Darlehensgeschäfte abschließt.“(83)
Die Bedenken wurden von der Hofkammer nicht geteilt, aber verschaffen sich immer wieder erneut Gehör. Vor allem bei den Lotto-Anleihen war öfters eine Intervention an höchster Stelle erforderlich, damit die Anleihe genehmigt wurde. Diese Interventionen erfolgten entweder mit Rücksicht auf den adeligen Schuldner, oder auf die die Anleihe abwickelnden Bankhäuser. Dazu weiter unten.
Der Unterschied zwischen Staat und Privatschuldner ist jedoch vor allem bei der Bedienung der Schuld augenfällig. Während der Staat seine Zahlungsfähigkeit durch Ausgabe neuer Anleihen immer wieder herstellt, weil er einfach als Grundlage aller Wirtschaftsbeziehungen seiner Untertanen immer kreditwürdig ist und nicht gepfändet werden kann, gilt das gleiche Verfahren bei einem Privaten als ziemlich unsolid. So schreibt die Hofkanzlei 1844: „ … in dem Maße, in dem die kreditsuchende Unternehmung bisher in ihrem Unternehmen unglücklich war, trägt jede solche neue Kreditoperation mehr und mehr den Charakter eines Schwindelgeschäftes zur Hinausschiebung eines Bankrottes in sich.“(84)
Während der österreichische Staat seine Schulden verbilligte, indem er sie – wie 1811 – einfach entwertet, und seine Gläubiger um ihr Geld umfallen läßt, ruft das gleiche Verfahren bei einem Privatschuldner die Gerichte auf den Plan. Grassalkovich hat mit seinen vorgeschlagenen „Amicas“ auch versucht, dieses Verfahren anzuwenden. Der endgültige Ruin dieses Schuldners, der kein Staat ist, aber sich der Staatsanleihe-Methoden zu bedienen versucht, ist im Vormärz durch das alte feudale Recht behindert worden.
Der erste Mann der Monarchie selbst stand der Problematik seiner staatlichen Kreditschöpfung und den Bedenken seiner Fachleute recht gelassen gegenüber: Als anläßlich einer der Festetics-Schwindel-Anleihen sogar Metternich und Kolowrat mit der Frage der Zweckmäßigkeit der Privatanleihen konfrontiert wurden und ihre diesbezüglichen Bedenken dem Kaiser vortrugen, antwortete er mit der lapidaren Feststellung: „Ich nehme den Inhalt dieses Vortrages zur Wissenschaft und werde den in Erinnerung gebrachten Gegenstand gegenwärtig halten.“(85)
Interessant ist die Stellung des Hofkammerpräsidenten Kübeck zu diesen Anleihen. Er, der immer als Hüter der Staatsfinanzen auftrat und mit Verweis auf den gefährdeten Staatskredit so manches Ansuchen betreffend Kreditoperationen, nicht nur von ungarischer Seite, scheitern ließ, bot all seinen Einfluß auf, um die Privatanleihen der 40-er Jahre gegen alle Angriffe zu verteidigen und weitere Anleihen dieser Art zu ermöglichen. In einem sehr ausführlichen Gutachten aus dem Jahre 1845(86) legt er seine Ansichten dar. Anlaß dafür war eine Beschwerde der Obersten Justizstelle.
Sie stellte fest, daß den Privatanleihen der Verdacht des Wuchers anhafte, da sich die Anleihen begebenden Bankhäuser ihre Provision dadurch sicherten, daß sie die Partialen zu weitaus weniger als ihrem Nennwert vom Aussteller ankauften. Wucher sei verboten, hier finde er augenscheinlich statt, also müsse die Staatsverwaltung einschreiten.
Zu diesem Punkt verfaßt Kübeck eine kantianisch angehauchte Verteidigung des Wuchers [siehe V. 4. 2.) Für eine Aufhebung der Wucherverbotsgesetze], die aus der Feder eines Finanzministers sicher in ihrer Art einzigartig ist. Die Zusammenfassung dieser spitzfindigen Argumentation lautet: Erstens ist die Materie so kompliziert, daß man den Wucher nicht nachweisen könnte – „Jede Untersuchung darüber wäre schwierig und gehässig und im Resultat ohne Erfolg.“ Außerdem müsse man den Geldverleihern ihre Wuchergewinne lassen, weil sie ja auch so viele „Kosten“ und „Wagnisse“ auf sich nehmen. Schließlich betreibt auch der Staat selbst in seinen Notlagen eine Art Wucher-Praxis: „Auch die Regierungen, wenn sie sich in finanzieller Bedrängnis befinden, sind genöthigt, höhere Preise für das Aufbringen von Anleihen zuzugestehen.“ Allerdings als Kreditnehmer. Zur Natur dieses „Wagnisses“, das die Handelshäuser auf sich nehmen, stellt Kübeck fest, daß irgendeine Haftung von ihnen nicht verlangt werden kann und darf: „Die (von der Obersten Justizstelle vorgeschlagene) Anordnung, in der Haupt-Schuldverschreibung, so wie in den Partialen die bleibende Haftung des Handelshauses auszudrücken, scheint mir auch von keinem praktischen Erfolge zu seyn, denn die Sicherheit der Gläubiger beruht nicht auf dem Handelshause, welches sich auflösen oder in die Unmöglichkeit versetzt werden kann, der Haftung zu entsprechen, sondern auf der Hypothek.“
Nach den Mißbräuchen der 20-er Jahre – von denen Kübeck wohl unterrichtet war – wäre die Bedingung einer Haftung des Handelshauses aus finanzpolitischen Gründen durchaus angebracht gewesen, und wenn auch das Handelhaus nur so lange haften müßte, solange es besteht – Kübeck spricht sich hier dezidiert gegen eine Haftung aus, warum?
Er macht in diesem Gutachten keinen Unterschied zwischen ungarischen und österreichischen Anleihennehmern, aber zur Frage der Hypothek sei nur bemerkt, daß die Unsicherheit bzw. Verunmöglichung der Hypothek in Ungarn ihm ebenfalls wohlbekannt war, davon zeugen zahlreiche seiner Äußerungen zur geplanten Hypothekenbank.(87) In diesem Gutachten werden Bedenken seitens der Obersten Justizstelle erhoben, ob die Hypotheken-Sicherheit überhaupt als solche bezeichnet werden kann. Dagegen Kübeck: Da „von den Handelshäusern, welche die Gefahr auf sich nehmen, immerhin erwartet werden kann, daß sie die Hypothek genau geprüft haben,“ gebe ihm dieser Punkt keinen Anlaß zur Besorgnis. „Auch sind der Werth von solchen Gutskörpern, … ihre Beschaffenheit, ihre Produktionsfähigkeit … in der Regel kein undurchdringliches Geheimnis, und wer sich dafür interessiert, kann sich ohne Schwierigkeit darüber belehren.“ Ihm kann nicht unbekannt gewesen sein, daß diese Anleihen auch an ungarische Adelige vergeben wurden. Für Ungarn stellt er nämlich an anderer Stelle, ein Jahr früher fest, es gebe einen „Mangel an authentischen Werterhebungen“.(88) Kübeck führt weiter aus, daß die Oberste Justizstelle selbst zugesteht, daß aus administrativen und rechtlichen Gründen die Besitzer der Partialen keinerlei hypothekarische Sicherheiten erlangen könnten.
Er bemüht sich weiters, zu begründen, warum den Partialen keine von der Obersten Justizstelle vorgeschlagene Bemerkung, daß „dieses Geschäft als ein bloßes Privat-Darlehen betrachtet, und daher ohne Gutheißung von irgendeiner öffentlichen Behörde abgeschlossen, auch die bestellte Hypothek bloß von dem ohnedies haftenden Großhandelshaus geprüft worden“ sei, beigefügt werden kann: erstens gäbe es gar keine Behörde, die für Hypotheken-Prüfung zuständig wäre. Zweitens aber käme dann kein „solches Anlehen mehr zur Ausführung“, „da diese Formel einer Mißbilligung sehr nahe gleicht und bei jedem Kapitalisten das Bedenken erregen müßte, daß es mit einem solchen Anlehensgeschäfte nicht ganz geheuer sey.“ Eigentlich seltsam, denn laut einer anderen Bemerkung auf der gleichen Seite weiß „jene Klasse von Kapitalisten, welche ihr Geld in derlei Anlehen anlegen, … Staatsobligationen sehr wohl von Privat-Schuldverschreibungen zu unterscheiden, und ist weit entfernt, solche Partial-Obligationen … für Papiere, welche die Staatsverwaltung in irgendeiner Art garantiert, zu halten …“. Daher sei es gar nicht notwendig, das Publikum zu „enttäuschen“, also etwaige Irrtümer bezüglich der Natur dieser Anleihen auszuräumen. Und schließlich: Es ist ja alles freiwillig, jeder habe das Recht, sich in der einen oder anderen Form an dem Anlehen zu beteiligen.
Die teilweise widersprüchlichen Ausführungen des Hofkammerpräsidenten enthalten zusammengefaßt folgende Bestimmungen:
Die Privatanleihen sollen nicht verboten werden, denn das würde den Kurs der im Umlauf befindlichen Partialen empfindlich verschlechtern. Außerdem gibt es keinen Grund für ein solches Verbot, sie gefährden weder Staats- noch Privatkredit. Zusätzlich stellen sie für Gutsbesitzer die einzige Möglichkeit dar, auf Grund und Boden größere Summen aufzunehmen. (Dabei wird vornehm verschwiegen, daß Kübeck selbst einer der größten Verhinderer anderer Möglichkeiten war, übrigens nicht nur für Ungarn.)
Außerdem würde der Staat die Privatrechte, also die Freiheit des Eigentums, verletzen, wenn er solche Anleihen verbieten würde.
Die Bankhäuser dürfen mit keiner Haftung belastet werden, denn die Haftung übernimmt allein der Begeber der Anleihe, die Bankhäuser können auf den Wert der Hypothek keinen Einfluß nehmen. Man muß ihnen glauben, daß sie sie vorher genau geprüft haben.
Daß sie bei solchen Anleihen-Geschäften Wucherzinsen nehmen, muß man ihnen stillschweigend zugestehen, denn sie nehmen ein großes Wagnis auf sich.
Die Staatsverwaltung darf keine Überprüfung des Anleihengeschäfts übernehmen, denn das hebt die Gefährdung der Anleger nicht auf, bringt höchstens die Staatsverwaltung in ein schiefes Licht.
Der Anleger hat keine Garantie, wegen Überlastung des Landtafel-Personals und rechtlicher Hemmnisse kann er die Hypothek weder persönlich überprüfen, noch seine Forderungen intabulieren lassen.
Die Tatsache, daß eigentlich niemand haftet, und die Staatsverwaltung nichts mit derlei Privatgeschäften zu tun hat, darf keineswegs auf den Partialobligationen vermerkt werden, denn dann würde sie niemand kaufen.
Was veranlaßte Kübeck zu dieser Stellungnahme? Jegliche Form des Agrarkredits hält er – zumindest für Ungarn – für unnötig, weil dort „unter den dermaligen Verhältnissen eine Steigerung der Agrarproduktion“ weder fehlender Transportwege und Märkte ohnehin von keinem Erfolg gekrönt wäre. Außerdem sieht er an anderer Stelle Wertpapiere, die den Agrarkredit befördern sollten, durchaus als Gefährdung des Staatskredits an. Also ist die Bemerkung nicht ganz ernst zu nehmen, er wolle den Grundbesitzern ihre Möglichkeit, größere Kapitalien aufzunehmen, nicht vereiteln.
Kübeck bemüht sich zwar redlich, nachzuweisen, daß der Staatskredit durch die Privatanleihe nicht gefährdet ist, aber einen besonderen Nutzen für den Staat kann er auch nicht aufzeigen. Die Bemerkung, daß „ein sehr großer Theil solcher Privat-Partial-Obligationen im Ausland Anwerth genommen hat“ und daher „den finanziellen Vortheil gewährt“ hätte, „daß Geld-Kapitalien vom Auslande her in die Monarchie eingeflossen sind“, ist nicht geeignet, die Nützlichkeit der Privatanleihe nachzuweisen. Sofern Kübeck nämlich nicht Operationen a la Grassalkovich und Seeligmann im Auge hat, muß dieses Kapital mitsamt Zinsen bei Begleichung der Schuld wieder aus dem Gebiet der Monarchie abfließen, damit bewirken die Privatanleihen eher nationalen Kapital-Entzug als Zufluß von Geld-Kapital.
Die Bemerkung, die Erfahrung hätte „auch bisher die Unschädlichkeit dieser Privatanleihen für den Staatskredit bewiesen“ und dieser hätte sich sogar in „dieser ganzen Periode … fortschreitend … gehoben“, stellt zwei Phänomene nebeneinander, deren Zusammenhang nur als Behauptung existiert.
Der Grund für Kübecks Verteidigung der Privatanleihe kann nur am Interesse der Bankhäuser und an Kübecks Interesse an diesen liegen. Die drei großen Bankhäuser Rothschild, Sina und Arnstein & Eskeles (– die anderen wahrscheinlich auch, aber die Stimmen dieser 3 hatten das entscheidende Gewicht) bestanden offenbar auf der Genehmigung der für sie einträglichen Privatanleihen und hatten in diesem Sinne interveniert. Sie hatten offenbar auch den Hofkammerpräsidenten davon überzeugt, daß Geschäfte, die in ihrem Sinne waren, unmöglich eine Gefährdung des Staatskredites darstellen konnten. Kübeck setzte daher das Gedeihen der „Handelshäuser“ mit dem des Staatskredites gleich – was vermutlich bei den damals herrschenden Abhängigkeiten begründet war –, sodaß er eine Gefährdung dieses Staatskredites nur bei solchen Finanzoperationen vermutet, wo diese Bankiers nicht involviert waren.
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(2) FA, PA 5156/1843, 5743/1844, 7788/1846
(8) August Ellrich, Die Ungarn wie sie sind, Berlin 1831, zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, S. 59
(9) O.L., Grassalkovich Család, Kuehn-Héderváry Család Levéltára, P 429, 5. doboz: III-ik Antal csődperei
(16) O.L., Grassalkovich Család, Khuen-Héderváry Család Levéltára, P429, 5. doboz
(17) F.L., Kanc. 16142/2127. kancelláriai leirat; publ. 1829. évi januári 15. Közgyülése 102. & 103. szám, zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, S. 73
(18) F.L., Pest vármegyei jegyzőkönyv 1829 évi 547. szám, zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, ebd.
(19) F.L., vm. jegyz.1829 evi 547. j.k.szám, "végzése“, zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, ebd.
(20) F.L., közgyülési jegyzőkönyvek 1829 7189 sz., verhandelt vom Komitat unter 5205 desselben Jahres, zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, S. 74
(21) F.L., Pest, törvényszéki jk. 1830, 27 sz., zitiert nach: Iványi-Grünwald 2, ebd.
(22) FA, PA 9684 aus 1846
(24) Š. O. A. (Štátny Oblastný Archív v Bratislave – Bezirksarchiv für Bratislava-Umgebung), Intabulationsprotokolle 1822-1827, S. 824-825
(25) Értesítés, S. 7, 66 und 83
(34) FA, PA 9684 aus 1846
(37) Š. O. A., Intabulations-Index, Buchstabe „G“ und Protokolle 1822-1827, S884
(38) AhmB (Archiv hlavného mesta SR Bratislavy), Intabulationsbücher 9 (1825-1827), Index „Seeligmann, Eduard“ und die dort bezeichneten Seiten
(47) Kehrseite, S. 91 und Nagy, S. 80-81
(56) Š.O.A., Intabulationsprotokolle des Komitats Preßburg 1827-1841, S. 237
(58) Š.O.A., Intabulationsprotokolle des Komitats Preßburg 1827-1841, S. 301
(60) AhmB, 4e (Intabulationsbücher), Bd. 10 (1828-1832), S. 208
(62) Kehrseite, S. 114-115
(66) Wachtler, S. 161 und 162
(71) F.L., Pest városa törvényszékének iratai, Csődperek, IV 1223/d, 3. doboz, Karl Erhard
(72) Széchenyi István naplói, VI. kötet. Szerkesztette Viszota Gyula, Bp. 1939, S. 52
(74) Wurzbach-Lexikon, Sina, S. 357
(78) Magyarország történeti kronológia, II. kötet, S. 648
(81) Kehrseite, S. 114-115
(84) Brusatti, S. 354. Der ursprüngliche Akt ist nicht mehr auffindbar.
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